zurück
Children of Berlin
Eine Ausstellung im Museum Folkwang Essen
Im Wald und in der großen Stadt. Museum Folkwang Essen mit Berlin-Schau,
in: KSTA, 24.2.2000.
Berlin als neue Bundeshauptstadt ist auch in der kulturellen
Szene zunehmend in aller Munde. Denn schließlich ist Berlin auch
bestrebt, Kulturhauptstadt zu werden. Nun hat Klaus Biesenbach
von den Kunst-Werken Berlin eine Ausstellung zusammen-gestellt,
die eine künstlerische Reflexion auf die zehn Jahre nach dem Mauerfall
widerspiegeln soll. Sie war zuerst im PS 1 in New York zu sehen
und ist nun in komprimierter Form für das Museum Folkwang zusammengestellt
worden. Waren in New York auch Bilder und Skulpturen zu sehen,
konzentriert sich die Essener Schau ausschließlich auf Video-,
Film- und Diaprojektionen, die in einem langen, verdunkelten Rundgang
eindrucksvoll präsentiert sind.
Der Titel "Children of Berlin” kann schnell mißverstanden werden.
Es geht weder um (Klein-) Kinder, noch geht es ausschließlich
um Berlin. Die Ausstellung zeigt Werke von ca. 15 internationalen
Künstlern, die in Berlin leben oder sich dort für eine gewisse
Zeit aufgehalten haben.
Besucher, die ins Museum hereinkommen, werden bei einem Blick
nach oben gleich auf die Situation der Ausstellung aufmerksam
gemacht durch eine große rote Worts-kulptur von Peter Friedl.
In Großbuchstaben liest der Betrachter das Wort KINO, das auf
ein Großstadtphänomen, auf Berlin als Filmstadt, aber vor allem
auf die filmischen Projektionen in der Ausstellung verweist.
Der Eingang zur Ausstellung ist gewissermaßen durch eine Großprojektion
des verstorbenen Landart-Künstlers Robert Smithson versperrt.
Der Film "Spiral Jetty” von 1970 zeigt, wie der Künstler eine
große Spirale aus Geröllstein in den Salzsee von Utah baut und
sie anschließend entlangläuft. Der Film dient, so Biesenbach,
als Prolog der Ausstellung. In ihm seien "viele Bilder vorweggenommen,
die Berlin in den 90er Jahren dominierten. ... Vier zentrale Spannungsfelder
in Smithsons Arbeit sind dabei für die Essener Ausstellung besonders
hervorzuheben: (kreisende) Bewegung und Dynamik, Aufbau und Zerstörung,
Zivilisation und Natur, Film und Fiktion.”
Spannender noch als der vermeintliche und kaum nachvollziehbare
theoretische Überbau der Ausstellung durch den hinkenden Vergleich
zu einer Landart-Arbeit sind die 16 Werke in der Ausstellung selbst,
die man - in Paranthese zum Prolog - als "City-Art” bezeichnen
könnte. Igor & Svetlana Kopyansky widmen sich dem Müll, der auf
den Straßen herumfliegt. Die Kamera verfolgt in Nahsicht Papprollen,
Tüten oder Imbißschachteln, wie sie vom Winde verweht werden und
eine bezaubernde ästhetische Choreographie aufführen. Und nichts
ist dabei manipuliert. So wird dem negativen Aspekt der Wegwerfgesellschaft
eine positive und poetische Note verliehen. Thomas Demand, der
Modelle von Räumen baut, um sie zu fotografieren, zeigt in Essen
seinen Film "Tunnel” von 1999. Es ist eine (Kamera-)fahrt durch
einen Tunnel, vorbei an Arkaden: Von einer Anhöhe aus geht es
runter bei immer schnellerem Tempo, bis die Fahrt im schwarzen
Nichts endet, um vom Neuen zu beginnen. Auch dieser Tunnel ist
ein vom Künstler gebautes Modell, das Modell eines zeitgenössischen
urbanen Phänomens. In seinem Film wird die Realität zur (ausweglosen)
Fiktion.
Gleich daneben präsentiert Daniel Pflumm auf einem in die Wand
gebauten Monitor sein Video "ICE-Train”. Es zeigt bei stehender
Kamera vorbeifahrende Züge verschiedenster Art, bei Tag und bei
Nacht, mit gleichbleibendem Tempo. Zwischendrin leuchten und blinken
helle, farbige Lichter vor schwarzem Nachthimmel, reale Bilder
lösen sich auf in abstrakt-geometrische Figurationen, und die
Bewegung eines Löffels im Kartoffelpurree oder das sprudelnde
Wasser sind visuelle Zitate aus der Werbung, die im Künstlervideo
beim ersten Moment genauso stören wie im Fernsehfilm. Doch bei
Pflumm ist alles im Fluß, alles aufeinander abgestimmt und alles
schön.
Während bei Pflumm die Züge an der Kamera vorbeifahren, fährt
in dem Video "Parallax” von Heike Baranowsky die Kamera durch
einen Wald, ebenfalls bei gleichbleiben-dem Tempo. Interessanter
noch als das von ihr gezeigte Dickicht der Bäume ist die satirische
Utopie vom Raumlabor-Berlin. Ihre Großbild-Diaprojektion "Innenstadt-Waldwohnen”
zeigt futuristische Baumhäuser in einem Wald, in dem auch eine
Personengruppe beim Picknick zusammensitzt. Könnte diese Projektion
im urbanen Raum Wirklichkeit werden? Eine interessante und amüsante
Idee ist es allemal. Die holländische Fotografin Rineke Dijkstra
zeigt die große Doppelprojektion "Buzzclub”. Sie filmte Teenager
vor einer weißen Wand, die sich mit dem Oberkörper zu einer Technomusik
bewegen, aber kein Wort sagen, sondern mehr gedankenversunken,
cool oder gelangweilt in die Kamera blicken. Dijkstras sehr überzeugende
Video-Arbeit sagt viel über junge Leute, ihre Selbstinszenierung
und das Clubleben aus. Das Finale des spiralförmigen Rundgangs
ist eine bemerkenswerte Überra-schung und der Clou: Der Theater-
und Filmemacher sowie Parteigründer von "Chance 2000” Christoph
Schlingensief und Nina Wetzel haben eine bühnenartige Rauminstallation
geschaffen mit zwei von seinen Filmen, Internetseiten (abrufbar
auch zuhause unter www.Schlingensief.com), Diaprojektionen auf
Zelten und einem nachgebauten Lagerkino hinter einem originalen
NVA-Zelt, an dem sogar ein Herd steht. Großes Überthema ist Schlingensiefs
Aktion "Deutschlandsuche”, bei der er in verschiedenen Städten
Zelte aufgebaut, darin gekocht und mit Leuten geredet hat: "Wir
suchen Deutschland, das verschüttet wurde, jetzt, wo in die Höhe
gebaut wird.” Seine Deutschlandreise weitete er aus zu einer "Wagnerreise”
nach Namibia - in den letzten Tagen des vergangenen Jahrtausends.
Dort fand er u.a. einen Tannenbaum, der ebenfalls in seiner Rauminszenierung
zu sehen ist wie die dokumentarische Diaserie über seine Reise.
Wie in Schlingensiefs Theaterstücken inszeniert auch hier der
Besucher sich selbst mitten in einem Raum, der zahlreiche fragmentarische
Versatzstücke wie im Internet zur Aktion bereithält und insgesamt
eine Art Gesamtkunstwerk darstellt. Es ist ein Glücksfall, daß
das RWE in Essen diese technisch aufwendige und interes-sante
Ausstellung finanziert hat. Und es erscheint wie eine vielversprechende
Aufbruchstimmung, daß das Museum Folkwang die Tradition im Hause,
Videokunst zu zeigen, nach langer Zeit wieder aufgegriffen hat.
Ulrike Lehmann
zurück