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Wishing Well. Zum Pavillon von Stephen Craig

in: kunstprojekte_riem. Öffentliche Kunst für einen Münchner Stadtteil, Springer Verlag, Wien, 2004 (dt./engl.)

Der Pavillon als Metapher

Stephen Craig ist ein Grenzgänger. Als gebürtiger Ire lebt er in Deutschland und beschäftigt sich in seinen künstlerischen Arbeiten mit der Schnittstelle von Architektur und Skulptur. Dabei interessiert ihn vor allem die Membran und Durchlässigkeit zwischen Innen und Außen. Dies wird besonders in der Form und Funktion des Pavillons deutlich, den er in den letzten Jahren in vielen Modellen als architektonische Skulptur konzipierte. Zur Bedeutung des Pavillons sagte der Künstlerin einem 1998 geführten Interview: "Für mich liegt die Bedeutung des Pavillons darin, dass er Architektur, aber auch Skulptur sein kann, er funktional sein kann, aber er ist (auch) eine freie Form. Er liefert eine gute Basis und Struktur, auf und mit der man freies Denken entwickeln und ausdrücken kann."
1994 realisierte Stephen Craig nach einigen Modellen einen "Transportablen Pavillon" – ein Ausstellungsraum, den er in verschiedenen Städten in Deutschland und Frankreich aufstellte. Hierzu sagte er: "Ein wichtiger Aspekt – vielleicht das Haupt-merkmal des Pavillons – ist seine Fähigkeit, Teil seiner Umgebung, des Ortes, an dem er steht, zu werden und die Dinge, die in ihm gezeigt werden, ebenfalls Teil dieser Umgebung werden zu lassen. Gleichzeitig schafft er seinen eigenen undefinierbaren Raum. Innerhalb einer Umgebung kann er sehr autonom und unabhängig sein, ohne künstlich zu wirken. Er ist wahrscheinlich – bewusst oder nicht – eine Metapher für meine eigenen Wanderungen, für mich selbst als `irischen Vagabunden´."
1997 hat Craig zwei temporäre, begehbare Pavillons aus Holz für die "Skulptur. Projekte in Münster" und für die Documenta X in Kassel als Treffpunkt und Kommunikationszentrum für die Ausstellungsbesucher konzipiert. 1997/98 baute er die Ausstellungshalle der Städtischen Galerie Nordhorn aus Stein, Mauerwerk, Glas und Metall. Während die ersten Pavillons noch aus naturbelassenem Holz bestanden, entwickelte Craig seit 2000 betont farbige Skulpturen und Pavillons sowohl als Modelle als auch als begehbare Räume.
Die für die Messestadt München-Riem realisierte Arbeit "Wishing Well" ist ein begehbarer und ein feststehender benutzbarer Pavillon. Diesem Werk unmittelbar vorangegangen ist der Pavillon "Zeitmaschine" von 2001, die als begehbare Skulptur im Inneren eines Ausstellungsraumes realisiert wurde. Die Ähnlichkeit zwischen beiden Werken ist vor allem durch die Rundheit des Baus und den Glaszylinder mit rotierendem Innenleben im Innenraum gegeben.
Alle diese Pavillons haben eins gemeinsam: Sie sind, wie ihre architekturhistorischen Vorläufer, flüchtige Orte, Orte der Begegnung. In ihrer offenen Struktur gibt es wie zum Beispiel im barocken Gartenpavillon meist nur angedeutete, offene Bau-Grenzen (zumeist gekennzeichnet durch Säulen oder niedrige Mauerwerke), durch die z.B. ein Liebespaar schnell hineinkommen, aber auch schnell wieder flüchten konnte. Auch Craigs Pavillons sind in dieser Dialektik von Offenheit und (halb) geschlossenem Raum konzipiert.
"Wishing Well" ist nun ein permanent feststehender Pavillon von Stephen Craig, der seit Oktober 2003 auf einem langgezogenen rechteckigen Platz mit Bäumen zwischen Bürohäusern auf der einen Straßenseite und Wohnhäusern auf der anderen Seite nahe der U-Bahnstation Messestadt West steht und – im Gegensatz zum langgestreckten Rechteck des "Transportablen Pavillons" - als offener Rundbau konzipiert ist. Er ist zugleich die letzte Arbeit, die im Rahmen der Tätigkeit von Claudia Büttner fertig gestellt wurde.
Werkbeschreibung
Craigs Pavillon steht inmitten von Ahornbäumen, deren Stämme die Höhe des Pavillons erreichen, so dass die Baumkronen über dem Dach beginnen. Die Maße der Bäume wurden bewusst in die Planung und Maße des Gebäudes einbezogen, um eine harmonische Einheit mit der Naturumgebung herzustellen.
Das künstlerische Bauwerk besteht aus einem rotorangen Boden- und einem gelben Dachring von insgesamt jeweils 12 m Durchmesser und einem offenen Innenring von je 6 m. Die Ringbreite beträgt demnach 3 m. Dach und Boden sind mit acht anthrazitgrauen Stahlsäulen verbunden. Die Dachhöhe beträgt 3 m, die Deckenhöhe zwischen Boden und Dach misst 2,50 m. Der innere Bodenring ist mit verschiedenfarbigen Wildblumen und Gräsern bepflanzt. Eine im 3/4tel-Kreis angebrachte doppelwandige, 2,25 m hohe Schirmwand aus gelochtem Metall schwebt leicht über dem Boden und unter dem Dach in einem Abstand von jeweils 12,5 cm. Zwischen den Wänden sorgen neun – ebenfalls anthrazitgraue – schmale Säulen für die Standfestigkeit des Gliederungselements, das zugleich Schutz bietet und die Lochung eine Offenheit, Durchlässigkeit zwischen Innen und Außen garantiert. Die zwei Wandmembrane sind nicht deckungsgleich, sondern leicht verschoben aufgebaut, so dass die 3-4 cm großen Löcher versetzt übereinander liegen und ihre Struktur wie ein Flechtwerk erscheint. Für zusätzliche Lebendigkeit sorgen die zwei verschiedenen Gelbtöne der Wände – die innere Wand ist hellgelb, die äußere dunkelgelb -, die sich in der Netzhaut des Betrachters vermischen.
Drei geschwungene Sitzbänke aus orange lackiertem Holz vor der inneren Wand laden zum Sitzen und Verweilen ein. Sie stehen wohlproportioniert im gleichen Abstand zueinander. Dort, wo eine vierte Bank im Kreis stehen könnte, um ihn zu schließen, befindet sich jedoch der Eingang zum Inneren des Pavillons, der sich zum Südwesten hin öffnet. Dieser Bereich ist deckungsgleich mit dem verbleibenden, nicht ausgefüllten 1/4tel-Kreis des 3/4tel Wandsegments.
Hier wird der Besucher von einem durchsichtigen Zylinder (Durchmesser 2 m) aus Sicherheitsglas begrüßt. In seinem Inneren ist eine Art Baumstamm zu sehen, der mit einem auf dem Dach befindlichen Rotor verbunden ist, eine Art Propeller, der bei Wind das Innenleben des Zylinders in Drehbewegungen bringt. An den Ästen hängen 27 (ausgehend von 3 x 9) kleine zweidimensionale Bildtäfelchen, die wie Blätter wirken, jedoch in verschiedenen Farben unterschiedliche Symbole aus drei Bereichen darstellen. Zum einen sind es Architektursilhouetten verschiedener Gebäude aus der Umgebung; zum zweiten Silhouetten von Kunstwerken anderer Künstler, die vor der Fertigstellung von "Wishing Well" für die Messestadt Riem erstellt wurden – eine kollegiale Geste, die Craig vor allem auch deshalb einbezogen hat, weil seine Arbeit die Abschlußarbeit des Gesamtprojektes ist; zum dritten handelt es sich um Symbole von Wünschen, die verschwommen dargestellt sind. Es sind realisierbare und unrealisierbare, materielle und immaterielle, emotionale Wünsche. Während hier die Wünsche vom Künstler vorformuliert wurden, kann sich der Besucher seine eigenen Wünsche ausdenken, zu Papier bringen und in einem eigens dafür vorgesehenen Briefkasten einwerfen. Dieser Briefkasten soll – nach den Wünschen des Künstlers – etwa alle vier Monate von Mitgliedern der Gemeinde geleert werden, die sodann einige Wünsche aussuchen und versuchen, sie zu realisieren.
Im Kontext der Umgebung und der Geschichte des Gesamtprojekts sowie in Verbindung zum Titel des Pavillons nehmen der Zylinder mit seinem Baumstamm und den Bildsymbolen wie auch der Briefkasten einen zentralen Stellenwert ein. Nicht von ungefähr sind sie gleich am Eingang platziert worden.
Ausgangspunkt für die Idee zu "Wishing Well" war ein Gesprächskreis von Bewoh-nern in Riehm, die der Frage nachgingen, was für sie Kunst sei und was sie sich von der Kunst, die für Riehm in Auftrag gegeben wurde, erwarten, wie sie sich die Kunst wünschen und vorstellen. Heraus kam eine große Liste mit Wünschen, die Craig ebenso beeindruckt hat wie die Tatsache der Zusammenkunft als solche. Um dieses und andere Treffen weiterhin zu unterstützen, hat Craig die Idee zu diesem Pavillon an diesem spezifischen Ort nahe dem belebten Platz um das Mall-Center entwickelt. Den Titel fand er aus der Tradition seines Heimatlandes Irland: Ein Lied mit dem Refrain "Wishing well – kiss and tell" ist heute für alle zum Inbegriff eines Treffpunktes für Liebende, zum Geheimtreff für Jugendliche geworden.
Architektur als Experience, Experiment und Prüfung
Anders als an der Arbeit mit Modellen musste der Künstler für die Realisierung dieses - im öffentlichen Raum platzierten - Pavillons eine Baugenehmigung einholen und sein Vorhaben vor Ort mit Stadtplanern und Landschaftsgärtnern entwickeln. Dabei stieß er auf bestimmte städtebaulichen Vorschriften aber auch auf Probleme mit der Haltbarkeit, Wetterbeständigkeit und dem Vandalismus, den es vorzubeugen galt. Dies zeigt sich u.a. in der sorgfältigen Auswahl der Materialien.
So stand für den Boden pigmentierter Beton oder roter Kies zur Diskussion. Bei Bodenfrost wäre ein aufwendiger Frostschutzring unterhalb der Bodenplatte notwendig, um Wasser abzufangen, bevor es friert, um den Beton nicht zum Platzen zu bringen. Im Falle von Kies bräuchte man nur Fundamente für die Säulen.
Auf dem Dachring hingegen darf sich kein Regenwasser stauen, daher wurde er mit einer leichten Schrägneigung nach innen gebaut, so dass das Wasser in den kleinen Garten im Inneren des Pavillons abfließen kann. Um mögliche Dachschäden leichter reparieren oder Wartungsarbeiten besser vornehmen zu können, wurde der Dachring aus mehreren Segmenten zusammengesetzt, die auf einem Leistenskelett angeschraubt und einzeln herausnehmbar bzw. austauschbar sind. Abgesehen davon wäre der aus lackiertem Metall bestehende Dachring im Ganzen weder produzierbar, noch transportierbar gewesen.
Skulpturale Architektur als Bedeutung
Abgesehen von den bereits durchdachten Problemzonen im Entwicklungsstadium, die jedem Architekten begegnet wären, hat Stephen Craig eine Architektur geschaffen, die mehr ist als Form und Funktion. Auch wenn hier architekturgeschichtliche und bedeutungsrelevante Vorläufer den Künstler durchaus inspiriert haben und die hier vergleichend zur Interpretation herangezogen werden könnten - wie der barocke Liebespavillon (auch "Diana-Tempel" genannt) in Schlossgärten oder Rundbauten wie das "Pantheon" in Rom - so ist "Wishing Well" mehr als Architektur. Schon allein mit dem Titel klingt eine Bedeutung an, die über Form und Funktion hinausweist. Stephen Craig hat mit "Wishing Well" ein künstlerisches Bauwerk geschaffen, das sehr präzise und in jedem Detail mit konnotativen und aufeinander bezogenen Zeichen geplant ist, welche der Besucher deuten und in einen interpretativen Gesamtkontext stellen kann. In dem Maße, wie die Architektur über sich selbst hinausweist, überschreitet sie die Grenze hin zum Künstlerischen, zur Skulptur. Insofern eignet sich der Pavillon aufgrund seiner offenen Struktur nachgerade, um mehrdeutige Interpretationen zuzulassen und ihn auch als Skulptur zu begreifen, die mit einer wohldurchdachten künstlerischen Absicht hergestellt wurde.
Diese zeigt sich bereits in der symbolischen Form des Gebildes. Der ringförmige Kreis mit seiner inneren Öffnung (und hier auch mit den drei Bänken) lädt mehrere Menschen zu einer Zusammenkunft ein, die sodann eine Gemeinschaft bilden – zu-mindest auf Zeit. Der Kreis ist gemeinschaftsstiftend und daher ein Symbol für Verbundenheit, Geschlossenheit und Konzentration. Die Peripherie des Kreises hat weder Anfang noch Ende und kreist unendlich um eine meist unsichtbare, aber präzise Mitte. Die Kreislinie setzt ein Zentrum und schafft Zusammenhang, indem sie das Innen vom Außen trennt. Da die Punkte der Kreislinie auf das Zentrum hin angelegt sind, schaffen sie nach innen hin Ordnung. Außerhalb der Peripherie herrscht – sinnbildlich gesprochen – kein Gleichgewicht, sondern Chaos. Die gleichmäßig runde Form steht also nie "für sich", sondern immer in einem Kontext, in einem Zusammenhang bzw. in einer Abgrenzung zum äußeren Umkreis, zur äußeren Umgebung. Im Kreis gibt es kein Oben und kein Unten, keine Bevorzugung oder Benachteiligung, da alle Punkte gleichweit vom Zentrum entfernt sind. Er ist daher das ideale Modell der Vollkommenheit, einer Gleichberechtigung und Demokratie.
Besonders in der Vergangenheit wurde der Kreis daher gern als architektonisches Konstruktionsprinzip für gemeinschaftsstiftende Bauwerke verwendet, so bei germanischen Thingplätzen. Profane Rundbauten finden sich bei Naturvölkern - wie das Iglu bei den Nomaden und das Tipi-Zelt bei den Indianern. Frühmittelalterliche Dörfer und Städte wurden kreisrund gebaut. Antike ringförmige Bauten wie das Kolosseum oder das Amphitheater boten für alle einen guten Platz, um sich auf die "Mitte des Geschehens" konzentrieren zu können. Da sich der Kreis in seiner Rundheit für Konzentration und Meditation eignet, ist er vor allem in asiatischen Ländern als Mandala wiederzufinden.
In der westlichen und zweckrational ausgerichteten Gesellschaft lassen sich nur selten Rundbauten finden, weil das Viereck und Quadrat die Bauweise bestimmt. Erst in jüngster Zeit, wo Teamgeist wieder mehr gefragt ist, werden runde, nahezu turmartige Gebäude von Firmenzentren gebaut als Demonstration von Macht und Gemeinschaftssinn. "Gemeinsam sind wir stark" lautet hier die Devise.
Craigs Pavillon setzt sich schon durch seine Rundheit von den umliegenden Gebäuden ab, die auf rechtwinkligen Grundrissen konzipiert sind und er bildet in seiner Kreisform einen Kontrast zum langgezogenen Rechteck des Platzes, auf dem er steht. "Wishing Well" wirkt wie eine Oase, er strahlt inmitten der Ahornbäume und mit seinem Blumengarten in der Mitte eine Ruhe aus, die zur Meditation einlädt. In dieser Ruhe findet auch ein Einzelner seine Konzentration auf sich selbst und seine Besinnung auf seine Wünsche.
Das Rotorange und das Gelb der beiden Ringe - ein harmonischer und zugleich topmoderner Farbklang, der Freude und Kraft ausstrahlt – locken den potentiellen Besucher schon von weitem. Die Auswahl der Farben hat ebenfalls symbolischen Charakter. Das Rotorange für den Bodenring symbolisiert Erde oder das Irdische, während das Gelb des segmentierten Dachrings auf die strahlende Sonne und das Licht (der Erkenntnis) verweist. Erde und Sonne sind ebenfalls kreisrund – als Kugel vorhanden, aber aus der Entfernung als Kreis oder Scheibe gesehen. Erde, Licht und Luft (Wind) sind drei Elemente, die Craig in seiner Arbeit anspricht und die zugleich symbolisch auf das Kosmische, aber auch auf das Lebenselixier des Menschen verweisen.
Last but not least steckt der im Eingangsbereich stehende Glaszylinder mit seinem Wunschbaum voller Anspielungen. Er ist für sich genommen schon ein skulpturales Ereignis, das sich von Elementen in rein architektonischen Bauwerken absetzt. Zugleich erinnert er entfernt an einen mit Geschenken behangenen Weihnachtsbaum, an vorweihnachtliche Wunschzettel oder an das vor allem in japanischen Tempeln praktizierte shintoistische Ritual, Wunschzettel oder symbolische Bildertäfelchen an einen Baum zu hängen. Aber auch der Roman "Zettels Traum" von Arno Schmidt ist hier zu nennen, obwohl diese Phänomene Craig nicht beeinflusst haben. Vielmehr sind die Vorläufer in seinem eigenen Werk zu finden. Bereits 1994/95 erstellte er die Skulptur "The Star Machine, or Heavenly Turner Driven by a Ventilator", in der der Wind eines Ventilators einen größeren und zwei kleinere Raumkörper in einem Gestell zum Rotieren bringt und dabei die Welt des Kosmos in Erinnerung ruft. Diese Arbeit ist eine Hommage an den als "Milchstraße" bezeichneten oberen Teil in Marcel Duchamps Werk "Das große Glas", das Craig für eine "phantastische `Ultra-Architektur´" hält. In den Skulpturen "Buster´s House" und "And After the Storm (Bu-ster´s House)" von 2000 setzt er sich mit dem vom Wind zusammenfallenden Haus in dem Film "One Week” (1920) mit Buster Keaton auseinander. Und in der begehbaren Skulptur "Time Machine" von 2001 sowie den nachfolgenden – zumeist runden - Pavillonmodellen von 2002 inszenierte er bereits vor "Wishing Well" durchsichtige Glaszylinder, in dessen Innerem baumartige Skulpturen mit Symbolen behangen sind, die durch Luftzug oder Wind zum Rotieren gebracht werden. Der Wind als für den Menschen nicht steuerbares Grundelement steht hier – neben der ästhetischen Formfindung - im Vordergrund des künstlerischen Interesses. Das Grundmodell für die jüngst entstandenen Arbeiten stellt sicherlich der "Tower of Winds" von 1995 dar, ein oktogonaler Turm auf einer kreisrunden Holzplatte, an dessen oberem Ring er die Namen der acht Hauptwinde schrieb.
Am Eingang von "Wishing Well" stehend, ist der Zylinder nicht zentral im Gesamtbild, zugleich aber ist er doch zentrales Geschehen, eben weil er im Entree steht. Jeder, der in den Pavillon hinein will, muss an ihm vorbei und schaut, was darin passiert, doch kann er die verschwommenen oder sich schnell im Wind drehenden Bilder gar nicht richtig erfassen. Hier setzt eine Irritation ein, die als Chance begriffen werden kann. Vielleicht wartet der Besucher mit Hoffnungen und vom Wunsch getragen, um mehr zu sehen, wenn der Wind und damit die Drehung des Baumes im Zylinder sich verlangsamt haben. Doch mehr sehen wird er auch dann nicht. Allzu oft verdrehen sich die Darstellungen, die ohnehin alle verschwommen sind, nach hinten oder wackeln im Luftzug. Hier setzt dann möglicherweise das Ohnmachtsgefühl ein, das ein Mensch gegenüber Windeinflüssen haben kann. Er ist machtlos und kann den natürlichen Lauf nicht manipulieren. Im besten Fall nimmt er das Nicht-Fassbare, das wie im Traum Vorbeirauschende und wieder Verschwindende als Chance, um seinen eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen.
Stephen Craig spielt hier mit der Ambivalenz von Wunsch und Realwelt. Er fordert auf leisen Sohlen den Besucher auf, sich mit der Schnittstelle von Wahrheit, Realität und Utopie in dieser Oase – die per se eigentlich ein u-topischer Ort ist - auseinanderzusetzen. Und er stellt damit zugleich Fragen nach der Bildlichkeit, nach der Funktion und Rezeption von Darstellung überhaupt. Wie gut sind Symbole wahrzunehmen? Nehme ich Symbole, die mir tagtäglich begegnen, überhaupt wahr? Und nehme ich meine Wünsche wahr, die außerhalb des Materiellen liegen?
Es bleibt zu hoffen, dass all die intensiven Bemühungen und detailreichen, fein ab-gestimmten Planungen des Künstlers, einen - sprichwörtlich gesehen – runden Platz für die Bewohner und Besucher der Messestadt Riem zu erbauen, auch entsprechend goutiert, dass der Pavillon als Treffpunkt und Ort für Wünsche angenommen wird. Denn als großes Finale der Auftragsrunde durch Claudia Büttner reflektiert er das bestehende Potential der Kunstwerke durch die Symbole und weist mit dem Appell, Wünsche in den Briefkasten zu geben, zugleich in die Zukunft – eine Zukunft, die nur durch die Gemeinschaft der Bewohner Riehms gestaltet werden kann. So ist "Wishing Well" als großes Finale auch ein Anfang – mit einem Blick zurück nach vorn. "Wishing Well" ist sehr komplex durchdacht, er greift archaische Lebensformen und Urwünsche ebenso wie architektur- und kunsthistorische Vorläufer und Zitate auf, er reflektiert die Umgebung von Natur, Städtebau und Stadtstruktur, bezieht sie mit ein und die Menschen können interaktiv mit dem Werk umgehen. In seiner Erscheinung wirkt er mit einer solchen Selbstverständlichkeit, als müsse alles Erdachte und Erbaute in Form, Farbe, Funktion, Proportion, Material und Bedeutung so sein und nicht anders. Man merkt: Hier steckt die Liebe im Detail. Er ist ein perfekt inszenierter und in sich stimmiger Ort, der – als Kunstwerk gesehen – keine Wünsche mehr offen lässt. Ich wünsche ihm alles Gute!
Ulrike Lehmann

 

Stephen Craig, in: "Die Arbeit als soziale Plattform". Stephen Craig im Gespräch mit Thierry Ollat, Oktober 1998, in: Stephen Craig, The Four View, Two Cities and the Phantasy Apparatus, Ausst.kat. Westfälischer Kunstverein Münster u.a., Münster 1999, S. 60.
Stephen Craig, ebenda, S. 63.
Stephen Craig, ebenda, S. 66.

 

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