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Sarah Jones


Geb. 1959 in London, lebt in London

 

Die britische Fotografin Sarah Jones studierte von 1978-1996 am Goldsmiths´College in London und erhielt für ihre inszenierten Fotografien bereits zahlreicher Preise. Seit ihrem Studium erarbeitete sie vier Serien, von denen zwei bereits abgeschlossen sind: "Consulting Room" und "Actor" entstanden beide 1995, "Consulting Room (Couch)", und "Francis Place / Mulberry Lodge" entwicklelt sie seit 1997. Alle ihre Fotografien sind in dem quadratischen und nahezu lebensgrossen Format 150 x 150 cm, durch das ein Bezug zum Raum und zum Betrachter hergestellt wird, was zugleich für Jones Absicht wesentlich ist.
In den Serien "Consulting Room" und "Consulting Room (Couch)" zeigt Sarah Jones Aus- und Anschnitte von der Couch und anderen Raumgegenständen aus den Zimmern von Therapeuten. Die Sitzmöbel sind leer, aber sie sind Zeugen von zahlreichen Einzelschicksalen. Durch die Größe der Farbfotografien wird der Betrachter eingenommen und angesichts der Leere und Abwesenheit von Menschen auf sich selbst zurückgeworfen. Durch das bewusst eingesetzte Mittel der Bildbeschneidung kann der Betrachter den dargestellten Raum gedanklich vollenden und dabei seinen eigenen physischen und psychischen Zustand historisch und aktuell reflektieren. Der fotografische Blick auf den Raum und seine Details ist genau kalkuliert, um jenen Bezug zwischen den nicht erzählten Geschichten der abwesenden Menschen und dem Betrachter herzustellen. Der Raum ist wie eine Bühne, auf der der Rezipient sich selbst befindet. Durch formalästhetische Gesichtspunkte wie die Auswahl und Anordnung von Farbe erfährt der Bildausschnitt seine kompositorische Einheit, die ihrerseits an ein gemaltes Bild erinnert. Tatsächlich lässt Jones sich von der klassischen Malerei, dem Tanz, Theater und Film inspirieren.
Mit den anderen beiden Serien "Actor" und "Francis Place / Mulberry Lodge" zeigt Jones ihr Interesse an der inszenierten Darstellung von Porträts, Menschen in bestimmten psychischen Zuständen. Während sie in der 1995 entstandenen Serie "Actor" noch Schauspieler engagierte, die vor neutral weißem Grund zu zweit und frontal zur Kamera positionieren, sind die Teenager-girls in der Serie "Francis Place / Mulberry Lodge" eingebunden in aufwendige Interieurs oder Gartenszenerien.
Die dargestellten Personen in den Farbfotografien der Serie "Actor" stehen nebenein-ander. Ihre Arme hängen gerade am Körper herab. Die Paare zeigen sich in ihrer Alltagskleidung; ihre Gesichter sind ungeschminkt und die Gesichtsfarbe ist – durch die künstliche Beleuchtung - fast weiß. Ihre Körper, die gemeinsam fast das gesamte quadratische Format ausfüllen, sind bis zu den Knien zu sehen, und sie stehen direkt dem Betrachter gegenüber. Doch ihre Blicke wenden sich weder ihm noch der anderen Person im Bild zu. Es gibt keine körperliche Berührung, keinen kommunikativen Blick, und die Neutralität des Hintergrundes verstärkt den Eindruck der Isolation und des In-sich-gekehrt-seins. Die Menschen erscheinen im Nebeneinander und zeigen sich doch allein. Gerade dieses Moment der emotionalen Leere, die dennoch betroffen macht, geht weit über das individuelle Porträt als klassisches Genre der Malerei und Fotografie hinaus und verweist auf die anonyme Struktur der zeitgenössischen Gesellschaft. Die Bilder problematisieren damit zugleich die Beziehungslosigkeit und Non-Kommunikation zwischen Menschen, die sich nahestehen. Die verallgemeinernde Aussage, die aus diesen Arbeiten wie eine Allegorie spricht, wird durch das Serielle der Fotografie und der Ähnlichkeit zwischen den Bildern unterstützt. Die Vorlage zu dieser Serie war Piero della Francescas Altarbild von Brera.
Auch in der Serie "Francis Place / Mulberry Lodge" wenden sich die Blicke der Mädchen keiner anderen Person im oder außerhalb des Bildes zu, sondern sind in eine unbestimmte Leere gerichtet. An großen Tischen sitzend oder stehend, spiegeln sich ihre Gesichter auf der Tischoberfläche, was das Narzistische unterstreicht. Doch die Körperhaltung der Mädchen vermittelt ein hohes Maß an Langeweile und Unzufriedenheit. So liegen bei einer jungen Frau die Arme über Kreuz auf dem Tisch, und das Kinn stützt sich auf die niedergelegten Hände. Eine andere stützt sich mit den Händen auf die Tischplatte und ihr Gesicht schaut gelangweilt in eine leere Schale. In einem anderen Bild wiederum ist das Gesicht durch die Haare völlig verdeckt, die von hinten über den Kopf geworfen sind.
Die aufwendigen Interieurs in den Räumen komfortabler mittelenglischer Häuser stehen für die elterliche Generation und damit kontrastiv zum Leben und zur Kleidung der Teenager. Die Interieurs, ausgestattet mit zahlreichen Details, gemusterten Gegenständen und Stoffen, erscheinen in der gleichmäßig ausgerichteten Beleuchtung wie Theaterkulissen, in denen die dargestellten Personen zwar anwesend, aber doch abwesend zugleich sind. Die schmuckreichen Dekors und farbigen Wände überragen in der Kälte des Lichts die Menschlichkeit. Auch hier wird der Raum zur Bühne, der über Geschichte, Gegenwart und einer scheinbar dunklen Zukunft erzählt. Doch ist die Erzählung nicht in sich abgeschlossen, sondern fragmentarisch. Innerhalb der Serie scheinen sich die Einzelbilder durch bestimmte Wiederholungen und Ähnlichkeiten von Dekors und Gesten zu einem narrativen filmischen Puzzle zusammenzufügen, dessen Teile jedoch Einzelsequenzen bleiben. So überführt Jones die inszenierte Fotografie in Bilder, die fotografischen Filmstills gleichen.
Durch die fragmentarische und ausschnitthafte, nichtlineare Erzählstruktur auf der einen und durch die Inszenierung der fotografischen Bilder auf der anderen Seite geht Jones über den fotografischen Realismus und den Abbildcharakter der Fotografie weit hinaus. Damit thematisiert sie den Zeitaspekt des fotografischen Bildes als etwas Gewesenes, das durch die Fotografie für eine Ewigkeit (als gegenwärtige Vergangenheit) festgehalten ist, und stellt durch die theatralische Inszenierung den eindeutigen Wahrheitsgehalt des Abbildes zugleich in Frage, um sie einer Vielfalt an Bedeutungen und Deutungen freizugeben.

Ulrike Lehmann

 

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