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Same, same but different oder:
Die Suche nach dem eigenen Ich ist eine Unmöglichkeit
Interview mit Bjørn Melhus am 21.12.2002
in: Kunstforum International, Bd. 167, Nov./Dez., 2003, S. 227-239.
"Ich weiß nicht, wer das ist!", war eines der
ersten Videos von Bjørn Melhus. Es entstand 1991 und ist
ein dreiminütiges Selbstporträt, für das er verschiedene
Stimmen aus unterschiedlichen Spielfimen genutzt hat. Seitdem
schlüpft Melhus in andere Kostüme, ist immer wieder
ein Anderer und inszeniert dabei die Begegnung mit anderen Personen,
die immer wieder er selbst ist. In "Das Zauberglas",
ebenfalls von 1991, sitzt er als Mann vor dem Fernseher und spricht
mit einer Frau, in die er sich verliebt. Als er ihr näher
kommen will, verschwindet sie, indem sie sich im Fernsehschnee
auflöst. Auch hier hört der Betrachter bekannte Stimmen
von amerikanischen Schauspielern. Melhus meets Melhus - hier in
einer Dialogsituation zwischen Mann und Frau, und in "No
Sunshine" von 1997 sind es zwei auf-gepoppte Playmobilfiguren
mit den Kinderstimmen von Michael Jackson und Stevie Wonder die
in ihrer ewigen Jugend gefangen sind. In "Again & Again",
1998, einer Videoarbeit auf acht Monitoren, multipliziert er sich
immer wieder, eingebettet in ein grünes Blatt, so frisch
wie die neue Natur. Diese Arbeit entstand ein Jahr nach Bekanntgabe
der Geburt des geklonten Schafes Dolly.
Auch in seinen aktuellen Video- und Filmarbeiten - für die
er mittlerweile die Form des Single Channel Videos verlassen hat
zugunsten einer bühnenartigen Rauminstallation wie "Prime-time"–
begegnet sich Melhus in den Rollen aller auftretenden Figuren.
Der Videofilm "The Oral Thing" von 2001 zeigt ihn als
Fernsehpriester und zugleich spielt er zwei Kinder ohne Unterleib,
die dem Priester beichten. Jede Person hat eine andere Stimme
und andere Kostüme. In dem im Mai 2003 fertiggestellten Film
"Auto Center Drive" – er wurde sogleich Preisträger
des Deutschen Wettbewerbs auf den diesjährigen Kurzfilmtagen
in Oberhausen - trifft die Stimme von James Dean auf die von Janis
Joplin und Jim Morrison. Der Darsteller ist immer wieder der Künstler
selbst. Er schlüpft weniger in andere Rollen, sondern schafft
"Verkörperungen", wie er selbst sagt, vor allem
aber thematisiert er Begegnungen und Dialoge.
Doch nie ist es bloße Nabelschau, denn in all seinen Filmen
reflektiert er zugleich mit Humor, Respekt und Kritik die Film-
und Fernsehgeschichte ebenso wie Teile der Kunstgeschichte, er
fragt nach dem wirklichen und konstruierten Leben, indem er das
Leben genauso studiert, wie das (vorwiegend amerikanische) Fernsehen.
Seine präzise produzierten Filme schaffen eine neue Wirklichkeit,
die voller Spiegel und Anspielungen ist und auf das Leben zurückreflektiert.
Insofern ist das Interview nicht nur ein Gespräch über
seine Videokunst, sondern auch über Vor-Bilder, über
Daytime Talkshows und die Werbung, über die Wirkung des amerikanischen
Fernsehens und die "mediale Sozialisation", über
Wirklichkeit und Fiktion, über Gentechnologie und das Szenario,
seinem eigenen Klon zu begegnen.
Drei Tage nach dem Interview, am 27.12.2002, hat die 46-jährige
Chemikerin Brigitte Boisselier die Geburt des ersten geklonten
Babys in der Presse bekanntgegeben. Boisselier ist Chefin des
US-Unternehmens Clonaid mit Sitz in Las Vegas (Nevada). Sie gehört
der Raelianer-Sekte an, die glaubt, dass Klonen den Menschen das
ewige Leben ermöglicht…
Bjørn Melhus: Soll ich am Anfang mal etwas von dem neuen
Film erzählen? "Auto Center Drive" ist ein Film,
den ich schon zu einer Zeit angedacht habe, als ich noch gar nicht
in der Kunstwelt war, sondern an der Filmschool des California
Institute of the Arts in Los Angeles.
Jimmy, eine eher zufällig ausgewählte Hauptfigur ist
auf der Suche nach einem anderen Ich, in einer Straße die
Auto Center Drive heißt,
Ulrike Lehmann: Wie sieht dieses andere Ich von Jimmy aus? Welches
Bild hat er von sei-nem anderen Ich?
Das ist es ja, er hat kein Bild. Es gibt nicht das andere. Es
ist eine Vielzahl verschiedener Teil-Ichs, die vielleicht im gesamten
so etwas wie eine EGO-Konstruktion, ein Psychogramm ergeben. Die
Stimmen aller auftretenden Figuren sind die Stimmen jung verstorbener
Pop-Ikonen, deswegen liegt der Auto Center Drive auch im Eternal
Valley. Der Film folgt eher einer Traum-Logik und spielt dabei
mit verschiedenen Wirklichkeitsebenen. In einer der Ebenen gibt
es zum Beispiel Figuren wie I-man und U-man. I-man ist der König
von Egomanien - für "ich" hat er das "I"
auf seinem Bauch stehen, wie Superman das "S" –
und U-man ist der Gegenspieler von I-man. Mehr will ich aber doch
noch nicht verraten.
Ein Hauptmerkmal deiner Arbeiten ist die Verdoppelung oder gar
Vervielfältigung deiner selbst. Was steckt dahinter? Ist
es ein ausgeprägter Narzissmus oder eine womöglich positive
Darstellung möglicher Auswirkungen der Gentechnologie?
Bei den ersten Arbeiten war es die Verdoppelung, erst später
kam es zur Vervielfältigung. In beiden Ansätzen gibt
es unterschiedliche Aspekte.
Beim "Zauberglas" von 1991 war es eine erste poetische
Auseinandersetzung mit dem Me-dium als Spiegel und natürlich
auch mit dem darin enthaltenen Narzissmus. Das Spiegelbild, das
andere im Apparat erzeugte Ich, ist in diesem Fall jedoch ein
weibliches, es geht hier um die Auseinandersetzung mit einer anderen
Geschlechtsidentität. Das Schaffen eines Ebenbildes, eines
Doppelgängers, ist in all meinen Arbeiten eine Form des inneren
Dialogs, der sich eigentlich im Kopf abspielt und nach außen
getragen wird.
Später, in Anknüpfung an das "Zauberglas"
ist der Film "Weit, weit weg" entstanden. Die Hauptfigur
Dorothy ist dort von Anbeginn eine weibliche, aber eigentlich
doch nicht, weil ja ich in diesem Kostüm stecke. Das ist
mehr eine Figur, die an etwas festhält und ein anderes Ich
erzeugt, nämlich diese Tele-Dorothy, die ein Signal ist.
Es ist ein instabiles anderes Ich, ein Bild, das in sich zusammenbricht.
Es kommt aus dem Rauschen, aus der Masse aller Signale.
Ein Tele-Ich?
Ja, Ein Tele-Ich. Wenn bei "Weit, weit weg" die Tele-Dorothy
anfängt, sich zu vervielfältigen – und da ist
das erste Klon-Prinzip enthalten – entspricht das jedoch
noch einer analogen Signal-Vervielfältigung, das heißt
das Signal verschlechtert sich, je mehr es sich vervielfältigt,
um am Ende ganz im Rauschen zu verschwinden. Das "Zauberglas"
ist 1991 erschienen, 1997 kam "Dolly"zur Welt –
das erste geklonte Schaf. Nach dem "Zauberglas" ist
dann 1995 "Weit, weit weg" entstanden und andere Arbeiten.
Kann man sagen, dass du quasi das Phänomen der Gentechnologie
vorweggenommen hast?
BM: Ich würde es nicht unbedingt so sagen. Bei "Weit,
weit weg" gibt es zwar eine Vervielfältigung der Figur,
aber das hat eher mit dem Fernsehen zu tun. Das Fernsehen ist
ein Si-gnalverstärker, das Abbilder von einen menschlichen
Original in Echtzeit unendlich oft, je nach Anzahl der Empfangsgeräte,
verfügbar macht. Insofern wäre das Fernsehen schon als
Bildklonen zu verstehen. Das Klonen wird erst im Fall von "No
Sunshine" konkreter wo es den natürlichen Klon als Zwilling
gibt. "Again and Again" war dann schon eine ganz bewusste
Reaktion auf Dolly.
Lehmann: Wie bist du ursächlich, zu dieser Idee gekommen,
dich selbst zu reproduzieren?
BM: Ich glaube, das ist bei der Suche nach Identitätskonstruktionen
entstanden, bei der Infragestellung der eigenen Identität.
.Wer man ist und wie man geprägt ist, hat auch sehr viel
mit Sprache zu tun. Es hat damit begonnen, dass ich zunächst
von der Sprache und vom Ton ausging. Bevor ich die Bilder überhaupt
andenke oder erzeuge, gibt es Sprach-, Dia-logkonstruktionen.
So habe ich bei einer weniger bekannten Arbeit, die noch vor "Zauberglas"
entstanden ist, "Ich weiß nicht, wer das ist"
(1991), Tonausschnitte aus Fernsehsendungen genommen und darüber
alte Super-8-Aufnahmen von mir selbst gesetzt. Das heißt,
alle Sprachausschnitte, die ich in diesem Pool des Massenmediums
gefunden habe, habe ich auf mich bezogen. So ist ein 3-minütiges
Selbstportrait entstanden.
Das war ein allererster Gehversuch, eine Skizze. Daraus folgte
der Gedanke: warum nicht schon von Anfang an mich selber vor die
Kamera zu setzen und mich selbst mit den Stimmen der anderen sprechen
zu lassen? So ist dann das "Zauberglas" entstanden,
eine Dialogkonstruktion, in der ich beide Teile selbst darstelle
und die Stimme, das Eingehauchte, zur eigentlichen Seele wird.
In der Parapsychologie wird der Begriff des Mediums für Menschen
benutzt, die mit Stimmen anderer, Verstorbener, das heißt
nichtkörperlicher Menschen sprechen und dabei für Momente
deren Identität, zumindest eine Mischidentität annehmen.
Mich interessiert auch die Frage der Übersetzung: Wie übersetzen
wir amerikanische Redensarten oder Lebensgefühle in die deutsche
Sprache? Viele Filme hören sich in der Sprache mittlerweile
so veraltet an, wie "… ein Wunder war es wirklich nicht,
vernehmt nur, was geschehen …" oder ähnliches.
Das war ein anderer Punkt, vom Sprachlichen her einzusteigen und
dadurch der Frage nach der Identitätskonstruktion nachzugehen.
Es ist immer eine Bereicherung, mehr zu wissen, wenn man ein gutes
Werk sieht, wenn man die Hintergründe kennt. Ist es für
einen unbefangenen Betrachter, der deine Arbeiten zum ersten Mal
sieht, sehr notwendig zu wissen, von wem die Stimmen kommen, die
du verwendest? Hältst du es für wichtig?
Die Hintergrundinformation und der Bezug zur Quelle, aus der ich
mich bediene, sind im Laufe der Zeit wichtiger geworden. "Das
Zauberglas" war sehr eigenständig, bei "Weit, weit
weg" bezieht sich die ganze Geschichte komplett auf die Geschichte
des Zauberers von Oz. Die Hauptfigur hat den gleichen Namen: Dorothy.
Der Ort Kansas heißt Sasnak, also Kansas rückwärts;
es gibt viele Bezüge zur Quelle, aus der ich mich bedient
habe. Der letzte Film, "Auto Center Drive", ist aus
so unterschiedlichen Quellen, dass er wieder eine eigene Ge-schichte
formuliert, aber die Figuren haben zum Teil auch physiognomische
Ähnlichkeiten mit den Quell-Figuren.
Du setzt dich vorwiegend mit amerikanischen Filmen auseinander?
Zu 99 % denke ich.
Woran liegt das?
Das hat mit meiner eigenen Vergangenheit zu tun und den ambivalenten
Gefühlen aus Fas-zination und Ekel zu Amerika während
meiner Kindheit im Westdeutschland der 70er Jahre, wo ich sehr
viele amerikanische Filme im Fernsehen gesehen habe. Ich verspürte
immer eine Sehnsucht, diese andere Welt zu sehen und diese Figuren
natürlich auch. Die Konstruktion der amerikanischen Hauptdarsteller
in Filmen oder Serien ist immer eine andere gewesen, als die in
deutschen Produktionen und sie ist letztendlich Weg weisend für
die Unterhaltungsindustrie auf der ganzen Welt. Diesen Export
von Lebensweisen habe ich zum Teil sehr ambivalent aufgenommen.
Die letzten Arbeiten scheinen mir noch stärker auf den amerikanischen
Film ausgerichtet zu sein, als die ersten. Aber es kann vielleicht
auch damit zu tun haben, dass du jetzt noch mal dieses Stipendium
in den USA hattest, was das ganze weiter verstärkt hat? Wie
würdest du diesen Einfluss sehen, also tatsächlich in
Amerika zu sein und dann "real life" das amerikanische
Fernsehen zu beobachten und zudem die Wirkungsgeschichte von den
Filmen auf die Bevölkerung, der Rekurs, der dann wieder in
die künstlerischen Filme übergeht?
Ich denke, das war für mich auch der Grund, dorthin zu gehen.
Ich bin damals schon, 1997, 1998, in Los Angeles an den tatsächlich
räumlichen Ursprung der Bilder vorgedrungen, um die dortige
Welt zu untersuchen. Es gab diese Faszination schon sehr früh.
Ich hatte als Kind ein merkwürdiges Schlüsselerlebnis,
als ich das erste Mal ein Militärgelände der US-Army
besuchen konnte. Das war mein erster "Amerika-Besuch",
in Süddeutschland. Dort habe ich eine Welt vorgefunden, die
einer amerikanischen Insel glich.
Das war eine Faszination, weil plötzlich diese ganzen ferngesehenen
Bilder in die Wirklichkeit umgesetzt waren – die Häuser,
die Straßen, die Verkehrsschilder, alles.
Es gibt bestimmte Fernsehserien, die weltweit so verbreitet wurden,
dass sie ein Teil der Sozialisation aller Menschen sind. Wenn
wir unterscheiden zwischen einer räumlichen So-zialisation,
die durch Familie, den wirklichen Umraum und durch Schule bestimmt
ist, gibt es immer noch eine zweite, vor allem durch das Kino
und Fernsehen.. Da gibt es dann auf einmal das Gefühl von
Parallelen, wenn man auf Menschen trifft, die der gleichen Generation
angehören, jedoch an einem ganz anderen Ort der Welt aufgewachsen
sind. Ich nenne das "mediale Sozialisation", eine "Kulturglobalisierung",
deren Ursprung Amerika ist, besonders Los Angeles als Fabrik dieser
Inhalte.
Während meiner Amerika-Aufenthalte in den letzten fünf
Jahren habe ich mich auch viel mit sogenannter "Trash-Kultur"
auseinandergesetzt. Für "Again and Again" habe
ich das Sprachmaterial einer Dauerwerbesendung entnommen und damit
eine Übersetzung in eine neue Geschichte realisiert.. Bei
späteren Arbeiten wie "Primetime" oder "The
Oral Thing" gibt es dann einen ganz direkten Bezug zur Quelle
dieser Trash-Kultur, deren Ereignisse ebenso auch Inhalt der Arbeit
geworden sind.
Du hast im Zusammenhang mit der Reproduktion von (Fernseh-)Bildern
erwähnt, dass das ja schon eine Art der Vervielfältigung
ist. Hast du dich mit dieser Reproduktion von Bildern und auch
mit der Verdoppelung von Ich - das sind ja zwei Ebenen, die bei
dir eine Rolle spielen - auch mit philosophischen Dimensionen
beschäftigt? Also z.B. mit Walter Benjamins "Die Reproduzierbarkeit
des Kunstwerks", dann mit dem imaginären Museum, was
bei dir schon die imaginäre Filmgeschichte sein kann? Ich
denke auch an Nietzsches "Zarathustra", die Suche nach
einem anderen Ich, einem Über-Ich, natürlich nicht in
einer "Gott-ist-tot"-Dimension oder Hermann Hesses "Narziss
und Goldmund". Haben dich solche literarischen Vorlagen interessiert?
Der ganze Benjamin’sche Gedankengang hat mich sehr interessiert,
natürlich auch in der Weiterführung, wenn man mit dem
Medium arbeitet. Aber ich würde keinen ganz direkten Bezug
zu einer theoretischen Quelle ziehen, es sind eher viele unterschiedliche
Aspekte; auch Paul Virilio, der in seinem Aufsatz zum paradoxen
Bild über das in Echtzeit übertragene Bild geschrieben
hat - ein Bild, das den Zeitraum von Erzeugung und Betrachtung
vereint und dabei gleichzeitig jede Distanz überwindet. Aber
mir ging es anfangs eher noch um eine Signalvervielfältigung,
bzw. Aufsplittung von ein und dem selben.
Wenn ich etwas aufsplittere, bin ich ganz viele in mir selbst.
Und die Suche nach dem eigentlichen Ich ist sowieso eine absolute
Unmöglichkeit, glaube ich. Ich denke, man wird sich selber
immer wieder in ganz unterschiedlichen Figuren erleben und die
Frage stellen, inwie-weit diese Figuren Projektionen sind, die
von außen kommen.
Die Suche nach dem eigenen Ich ist eine Unmöglichkeit?
Ja.
Und obwohl sie dir unmöglich scheint, hat sie dich doch so
intensiv beschäftigt?
Wenn es gefunden würde, würde ich ja vielleicht aufhören,
mich damit zu beschäftigen.
Aber du weißt doch, dass es unmöglich ist, und trotzdem
machst du weiter!
Ich glaube, das steckt doch auch in der Natur des Menschen, in
jedem Suchen. Natürlich, ich meine dann eben auch die Aufsplitterung
und diese verschiedenen Rollen. Welche Rollen kommen auch von
außen? Was sind Projektionen? Da kommt eben auch das Medium
si-cherlich wieder ins Spiel. Was übernehmen wir z.B. auch
in unserem täglichen Sein? Wer wollen wir sein?
Die Auseinandersetzung mit dem Bild und dem Vorbild?
Ja. Das Fernsehen z.B. ist ja auch eine Identifikationsmaschine.
Sehr viele Menschen, denen man in den USA begegnet, sind genau
so, wie die Menschen dort in den Filmen oder im Fernsehen. Sie
erzeugen wiederum diese Bilder. Die Bilder entsprechen den Vorbildern,
die Sie selbst in ihren Filmen konstruieren. Es ist ein ein Kreislauf,
eine "Closed-Circuit-Effekt", die dort stattfindet.
Der Vorteil deiner Arbeit ist ja, dass sie so komplex und vielschichtig
ist – von der Suche nach dem Ich über das Fernsehen,
die Trash-Kultur, die Pop-Kultur bis hin zu kunsthistorischen
sowie literarischen Referenzen und Symbolen und nicht zuletzt
gesellschaftskritische Momente sind enthalten.
Ein Großteil meiner Arbeit läuft intuitiv ab. Grundlage
bildet dabei natürlich das Gelesene und die daraus generierten
Vorgedanken. Der größere Teil ergibt sich jedoch aus
Kulturbeobachtung, vor allem auch aus einer trivialen Kultur,
die die Welt bestimmt.
Vielleicht können wir das an dem Beispiel der Arbeit "Prime
Time" mal konkretisieren?
"Prime Time" war die große Installation im Kunstverein
Hannover mit einer Showtreppe und 29 Fernsehern an der Wand. Da
gibt es verschiedene Figuren – Verkörperungen, wie
ich immer sage. Und in dem Fall spielt es gar keine große
Rolle mehr – also der Begriff der Ver-vielfältigung
und die Frage der eigentlichen Geschlechtsidentität oder
der Identität der unter-schiedlichen Figuren; sie sind eigentlich
nur noch Abziehbilder einer gewissen Kultur, in die ich schlüpfe.
Ist es für dich vorstellbar, dass das Klonen von Menschen
Realität werden könnte? Graut dir davor oder verspürst
du eher eine Lust an dieser Vorstellung?
Ich denke, es ist unaufhaltbar. In vielen Dingen, die mich beschäftigen,
verbindet sich Grauen mit Lust, also Faszination und Ekel. Die
Vorstellung, plötzlich ein geklontes Doppel zu haben, ist
mit einer absoluten Faszination verbunden und ich glaube, jeder,
der das abstreitet, der lügt. Irgendwo ist das natürlich
da. Ethisch würde ich das nicht vertreten können, aber
ich meine, als theoretischer Gedanke ist es natürlich erst
mal eine Faszination, die mich interessiert –deswegen bin
ich auch Künstler geworden und nicht Gentechniker.
Du sagst, dass jemand lügt, wenn er das nicht so empfindet
wie du? Da steckt ja schon eine ziemliche Überheblichkeit
dahinter!
Das ist jetzt natürlich sehr provokativ ausgedrückt.
Natürlich. Wir bleiben auch gerne bei der Zuspitzung des
Gedankens. Ich denke, das hat ja auch damit zu tun, ob man das
gut findet, wie sehr man sich selber mag. Und Menschen, die sich
besonders gerne mögen, finden das natürlich besonders
klasse, sich zu verdoppeln. Menschen, die sich nicht so sehr mit
dem eigenen Ich auseinander setzen – im positiven Sinne
– haben diesen Wunsch vielleicht gar nicht so und sagen
vielleicht eher: Um Gottes Willen – ich noch mal?
Ja, sicher. Ich muss dazu sagen, ich mag mich jetzt auch nicht
so besonders, dass ich mich selbst noch mal gern sehen wollte.
Das würde ich als starke Konkurrenz empfinden! Nein, ich
glaube, es zumindest für einen Tag mal zu erleben, diesen
anderen, das ist schon faszinierend.
Finde ich schauderhaft!
Es ist total schauderhaft!
Es gibt ja verschiedene Aufsplittungen von Ich-Konstruktionen
– was ich jetzt einfach mal in den Raum stelle. Also auch,
wenn man sagt, um Gottes Willen, man möchte es nicht haben.
Es wühlt etwas auf, es ist ein Gedanke, den man in der ganzen
Auseinandersetzung mit der Gentechnologie natürlich auch
spürt.
Es ist einfach so, ich selber würde mich nicht klonen lassen
wollen. Es geht mir nicht darum, das ist nicht meine Arbeit. Das
gibt es als Idee in anderen Filmen schon zahlreich ausformu-liert,
z.B. in dem Film "The Boys from Brasil", wo ganz viele
kleine Hitlers geklont werden. Selbst wenn man klonen würde,
würde man es niemals schaffen, dieses zweite Ich tatsäch-lich
zu erzeugen. Das Ich ist kein genetisches Ich, sondern ein Ich
durch Sozialisierung.
Selbst wenn man sich einen Klon herstellt, er wird nie das gleiche
sein. Wenn ich mich jetzt klonen würde, würde dieses
zweite Ich, das 2003 aufwächst, in 36 Jahren ein anderer
Mensch sein, als ich heute bin, weil es eine andere Zeit und ein
anderes soziales und vor allem mediales Umfeld ist. Dieser Mensch
würde vielleicht ähnlich aussehen wie ich, aber er würde
vielleicht ganz anders leben. Das alles spielt sich sowieso nur
in der Gedankenwelt ab. Es ist eine Fantasie, die hier weg galoppiert
in der Wissenschaft. Wir brauchen es eigentlich nicht. Also wozu
sollen wir uns Klonen?
Es gibt so viele Unterschiede von der Vervielfältigung. Wenn
ich vom Vervielfältigen eines Bildes ausgehe, ist das ein
Unterschied ob es eine digitale Vervielfältigung ist oder
eine analoge. Das sind alles Faktoren gewesen, die für mich
eine viel größere Rolle gespielt haben. Als ich früher
von einer Schallplatte eine Audiokassette gemacht habe, hatte
Vervielfältigung immer etwas mit Verschlechterung zu tun.
Die Kopie ist immer etwas Schlechteres gewesen, als das Original.
Wir haben es heute mit einem digitalen Zeitalter zu tun, wo ein
digitaler Klon exakt das gleiche ist wie das Original. Das ist
ein anderer theoretischer Zusammenhang, der für mich wichtiger
ist in der Betrachtung meiner eigenen Vervielfältigung im
digitalen Bild.
Du schlüpfst immer wieder in andere Rollen. Mal bist du ein
Schlagersänger, mal ein erfolgloser Liebhaber vor dem weiblichen
Spiegelbild im "Zauberglas", mal bist du ein Tagesschau-Sprecher,
mal bist du ein Gott in einer amerikanischen Show. Könnte
man dich als eine Art männliche Cindy Sherman bezeichnen?
BM: Es ist wurde schon häufiger der Vergleich gezogen, aber
die Motivation in der Arbeit ist eine unterschiedliche. In den
einzelnen Rollen geht es bei mir mehr um die Begegnung dieser
verschiedenen Figuren untereinander und den Katastrophen die daraus
erwachsen.
Wenn du dir deine Arbeiten so anschaust, in welcher Rolle, die
du gespielt hast, fühlst du dich am wohlsten?
Ich glaube, Dorothy in "Weit, weit weg" ist für
mich die wichtigste und intimste und persönlichste Rolle.
Warum?
Ich denke, weil diese Rolle am meisten mit mir selbst zu tun hat.
Es ist vielleicht die zer-brechlichste Rolle, die traurigste und
natürlich auch von all den Arbeiten die komplexeste, die
längste Arbeit bislang und die vielschichtigste, in dem,
was sie erzählt, in dem Psychodrama, das sich abspielt in
dieser Figur und in dem Versuch, aus sich selbst auszubrechen,
das An-dere zu erzeugen.
In "Weit, weit weg" geht es auch um meine Herkunft,
um die Frage, ein Zuhause zu verlassen, woanders hin zu gehen,
sich selbst zu verändern und um Sehnsüchte. In dem Film
ist sehr viel vorweggenommen, was in späteren Arbeiten wieder
passiert ist.
Ich glaube auch, dass Dorothy am meisten ich selbst bin.
Bist du seit Dorothy und mit den danach entstandenen Arbeiten
ein Stück weit gewachsen an deinem eigenen Ich? Hast du da
wirklich so eine Ich-Forschung betrieben? Bist du dir näher
gekommen durch deine Arbeiten?
Ich glaube schon. Du sagtest eben "gespielt". Ich vertrete
die Auffassung , dass ich diese Rollen nicht "gespielt"
habe, sondern dass ich sie eher verkörpert habe. Ich glaube,
ich wäre ein schlechter Schauspieler. Ich könnte keine
Rolle spielen, die mir jemand anders vorgibt. Alle Figuren bin
ich selbst, auch wenn sie noch so unterschiedlich sind. Aber wenn
ich die Stimmen übernehme und diese Stimmen verkörpere,
sind das schon unterschiedliche Teile meiner selbst - und natürlich
durchlebt man Dinge anders noch mal, wenn man diese Ge-schichten
erzählt und konstruiert. Deswegen verändern sich diese
Geschichten auch. Wenn ich nicht wachsen würde, würde
ich wahrscheinlich immer das gleiche erzählen.
Wenn man eine "Außensituation" hat – also
auch Trivialkultur, Massenkultur –, das von außen
nimmt und durch sich subjektiviert, ist das ja auch ein Spiel,
ein Gedankengang und da gibt es immer wieder neue Geschichten,
die uns von außen als Modelle gegenüber stehen. Gerade
jetzt auch in der letzten Arbeit "Sometimes" geht es
vor allem um die Bedrohungs- und Invasionsängste.
Kannst du diese Bedrohungsmomente mal benennen?
Das fängt schon bei amerikanischen Science-Fiction Filmen
der 50er und 60er Jahre an. Viele dieser dargestellten, durch
den kalten Krieg ausgelösten Bedrohungsmomente kommen dort
entweder von außen, oder durch Infiltration von Innen, manche
sind sichtbar, andere unsichtbar. Aber auch die in den US-Medien
propagierte, terroristische, nicht greifbare und unsichtbaren
Bedrohung wurde schon in vielen Mainstream-Filmen vorweggenommen.
Aus Dialogfetzen fiktionaler Angstszenarien, die versuchen, den
unsichtbaren Feind zu orten, habe ich dann in "Sometimes"
eine Über-Geschichte konstruiert, die nur von projizierten
Figuren in einem Beschwörungsritual gesprochen werden.
Wie auch in meinen anderen Arbeiten geht es darum, das Äußere
zu subjektivieren, d.h., diesen äußeren Zustand durch
meinen Filter, in einer neuen Form wiederzugeben.
Ist das ein Moment, wo du sagen könntest: Das ist der Erfolg
meiner Arbeit, indem du etwas von außen, was viele kennen,
verinnerlichst und das wieder nach außen gibst?
In allen Arbeiten steckt ein gewisses Maß an Selbstironie.
Es geht nicht um eine Nabelschau, sondern darum, das Außen
durch das Innen wiederzuspiegeln. Mit all den Schwächen,
Dramen und Pannen, und der Zerbrechlichkeit der Figuren, was manchmal
auch komisch wirken kann. Ich glaube, das ist ein Punkt, in dem
sich viele Menschen selbst wieder finden können. Und das
möchte ich auch. Es geht gar nicht um mich selbst, sondern
in dem Moment um den Betrachter - ich bin nur die Hülle einer
repräsentierten Geschichte.
Ich würde gerne über "The Oral Thing" sprechen,
wo du in einer Show als Gott aus einer Gloriole trittst, dann
auf einer Show-Treppe stehst und deine Predigt und Beichtabnahme
hältst. Zwischendurch wird sie immer wieder unterbrochen
durch kurze Einblendungen in Form von drei verschieden farbigen
Ringen, die sich zu einem Symbol der Dreieinigkeit vereinheitlichen…
Das Quellmaterial ist aus "Maury", einer amerikanischen
Daytime-Talkshow entnommen. Der Showmaster Maury Povitch nimmt
jeden Morgen, vor allem von Teenager-Mädchen, die Sex- und
Drogen-Beichte ab. "The Oral Thing" ist eine Mischung
aus dem Predigerhaften, dem Pseudoreligiösen, was in diesen
Shows natürlich steckt, aber eben auch das Exhibitio-nistische
der Beichte. Die Figur von dem Host ist eine selbst dargestellte
Reinheit und Göttlichkeit, die aber nur dadurch existieren
kann, dass es andere, "Unreine" gibt. Deshalb gene-riert
er diese beiden Teile aus sich selbst heraus. Vor allem seine
Fragestellung ist ziemliche perfide, in der 3er-Konstellation,
der Dreieinigkeit, die sich auch in dem Logo der drei Ringe repräsentiert.
Dann spielt er die beiden auch noch gegeneinander aus, es kommt
zur Opfer-Täter-Situation. Das schwächliche Rote auf
der linken Seite ist anfänglich das Opfer. Im Laufe der Show
wird die Opfer-Täter-Rolle jedoch umgedreht.
Auf der einen Seite arbeitest du mit abstrakten Zeichen, die hier
oder da immer mal wieder vorkommen, wie dieses Logo oder auch
die Schneekugeln, die vom Himmel fallen bei "Pri-metime".
Es sind abstrakte mediale Bilder, die eingebunden sind in den
ganzen Handlungszusammenhang. Du arbeitest mit Stilmitteln, die
man aus der Filmgeschichte kennt und auch aus der Malerei. Du
bist nicht nur der Wanderer zwischen der amerikanischen und überhaupt
der Filmgeschichte, sondern eben auch der gesamten Kunstgeschichte.
Ich glaube, dass das auch die gewisse Komplexität deiner
Arbeiten ausmacht.
Wie lange arbeitest du an einem solchen Projekt? Wie entsteht
bei dir ein Film, wie fängst du an?
"The Oral Thing” hat z.B. ein Jahr gedauert. Ich habe
in dieser Zeit natürlich noch an vielen anderen Dingen gearbeitet,
deshalb kann man das nun so nicht sehen. Ich fange mit dem Ton
an. Das geht los, indem ich erst in den Sendungen, die mich interessieren,
recherchiere und mir das Material heraus picke, das alles in den
Computer übertrage und das in Frage kommende Satzmaterial
niederschreibe. Aus diesen Satzfragmenten baue ich neue Texte
und entwickle dazu ein Storyboard. Dann kommt der Dreh; gedreht
wird ein paar Tage, so 4, 5 Tage. Mit dem anschließenden
Schnitt und der ganzen Endbearbeitung geht noch sehr viel Zeit
ins Land. Bei all diesen Arbeiten sind auch immer andere beteiligt.
Eine solche Arbeit kann gar nicht alleine entstehen. Und da komme
ich eben wirklich mehr aus der Filmecke, dass ich mit einem Team
zusammen arbeite und nicht alles komplett alleine machen kann
Ein stets wiederkehrendes Moment in deinen Arbeiten ist die Wiederholung,
die Wiederho-lung von Gesagtem und die Wiederholung von Bildern.
Warum wird sie immer wieder eingesetzt?
Zunächst einmal besteht das ganze Leben aus Wiederholungen,
und Wiederholung erzeugt Rhythmus.
Am Anfang war für mich die Wiederholung auch ein Moment des
Bruchs von Kommunikation, d.h. wenn vervielfältigte Sprache
ins Nichts läuft und Versuche der Kommunikationen in hilfloser
Nichtkommunikation enden. So zum Beispiel beim Zauberglas. Wiederholung,
das repetitive Prinzip, kann auch in einem anderen Zusammenhang
gesehen werden. Zum Beispiel die Geschichte von Narziss und Echo:
Das Echo ist auch ein akustisches Spiegelbild. Erst durch die
Wiederholung dieser Sätze entsteht plötzlich eine Kommunikation.
Es ist jedoch keine wirkliche Kommunikation. Ein weiteres Moment,
gerade in der Sprache, ist das musikalische Prinzip. Ein Refrain
z. B. beinhaltet das Prinzip der Wiederholung. Das heißt,
durch das Vervielfachen eines Satzes oder eines Wortes passiert
etwas ähnliches, als wenn ich ein Bild vervielfältige
–ein Portrait verdopple, und dadurch die eigentliche Aussage
entziehe.
Kannst du dir vorstellen, irgendwann mal die Reise, die Suche
nach deinem eigenen Ich, zu beenden und neue Wege zu gehen, indem
du auch andere – vielleicht Schauspieler oder andere Darsteller
- mit einbeziehst in deinen Filmen?
Ja, absolut möglich. Ich habe auch mal gedacht, nach "Auto
Center Drive" wird es nichts mehr geben, wo ich selber auftauche,
aber mittlerweile gibt es schon wieder die Versuchung zu neuen
Ideen.
Also das Ich lässt dich nicht los?
Da gibt es eben noch ganz viele Dinge, die man ausprobieren kann.
Zum Beispiel, sich im Raum zu bewegen...
Der ganze Raum wird dann eine Bühne, nicht wahr?
Ja, im Schaffensweg der letzten Jahre habe ich mir den Raum bereits
etwas erobert.
In welcher Form auch immer, es geht mir hauptsächlich um
Geschichten und Inhalte.
Ich danke dir für das Interview.
Ulrike Lehmann
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