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Pipilotti Rist
Geb. 21.6.1962 in Rheintal, Schweiz, lebt in Zürich und Rotterdam
Eija-Liisa Ahtila, Nan Goldin, Jenny Holzer, Rebecca Horn,
Frida Kahlo, Marie-Jo Lafontaine, Tracey Moffatt, Mariko Mori,
Shirin Neshat, Pipilotti Rist, Kiki Smith, Rosemarie Trockel,
in: Women Artists, Reihe Icons, Taschen-Verlag, Köln 2003.
Eine Wunderkammer voll bewegter Bilder oder
Video heisst: Ich sehe
Wohl kaum eine andere Künstlerin wird so gefeiert und steht
so im Rampenlicht des öffentlichen Interesses wie Pipilotti
Rist. Ihre gefühlsbetonten Videos und poppigen Installationen,
ihre interdisziplinäre Arbeit mit Musik und bewegten Bildern,
aber auch ihre witzige und kultivierte Persönlichkeit in
ständig wechselndem Outfit machten sie zu einem Pop-Star
der Kunstszene. 1997 wurde sie sogar zur künstlerischen Leiterin
der Schweizer Expo ernannt und trat ein Jahr später zurück.
Rists farbenreiche Videos und Videoinstallationen sprechen nahezu
jeden an, denn sie treffen den Nerv der Zeit. Mit technischen
Medien erarbeitet, wirken ihre am Computer manipulierten Filme
nicht kühl, sachlich und intellektuell, sondern sehr sinnlich.
Durch die harmonische Verbindung von weicher Musik und träumerischen
Bildern gehen sie unter die Haut, dringen ins Unterbewußtsein,
wecken Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte und stimulieren
ein Glücks-gefühl. Der Betrachter taucht ein in eine
Welt der Fiktionen, Visionen und Alltagsmythen. Er folgt den assoziativen
Bilderketten, die keine lineare Erzählstruktur mit betontem
Anfang und Ende haben. Die Bilder fliessen endlos und scheinbar
zeitlos, ziehen den Betrachter in ihren Bann und versetzen ihn
in bisweilen in einen Rauschzustand. Unterwasseraufnahmen mit
prächtiger Pflanzenwelt, ein den ganzen Bildschirm einnehmender
Kussmund, Füsse im gelben Blumenbeet oder ein nackter, mit
Strass geschmückter liegender Frauenkörper à
la Ophelia im Wiesengrund, die harmonische Verbindung von Körper
und Natur, die tranceartige Musik sowie Unschärfen und Verzerrungen
der phantasiereichen und poetischen Bilder lassen die Alltagsrealität
vergessen.
Als Kind der 60er Jahre ist Rist aufgewachsen mit dem Medium Fernsehen,
aber auch mit der Pop-Kultur. Der schwerelose, unbekümmerte
Umgang mit diesen Phänomenen der Massenkultur fließt
in ihren Arbeiten als direkte Aneignung ein und macht sie so populär.
Zunächst studierte sie an der Wiener Hochschule für
angewandte Kunst und drehte Trick- und Super 8-Filme. 1986 wechselte
sie in die Videoklasse der Baseler Schule für Gestaltung
und veränderte ihren Vornamen Charlotte zu Pipilotti. Pipi
wurde sie – in Anlehnung an Pippi Langstrumpf – von
ihren Freunden genannt, während ihre Familie sie Lotti nannte.
Sie trat als Musikerin in der Rockgruppe "Les Reines Prochaines"
auf und integrierte die Musik in ihre Videos.
1986 entstand ihr erstes Video "I´m not the girl who
misses much", in dem sie auf und ab hüpft und diesen
Satz ausruft. In dem Clip "Entlastungen (Pipilottis Fehler)"
von 1988 arbeitete sie mit abstrakt-malerisch wirkenden Bildstörungen,
die das Wirklichkeitsabbild verzerren und so fiktio-nalisieren.
Rist verglich sie mit ihrem Unterbewusstsein.1989 entstand in
Zusammenarbeit mit Muda Mathis die Videoinstallation "Die
Tempodrosslerin saust", u.a. mit 14 Monitoren, aufgebaut
in Anlehnung an den Kreuzweg und 175 verschiedenen Handtaschen,
die an der Wand hingen. Rist verglich später das Video "mit
einer kompakten Handtasche, in der alles Platz hat: Malerei, Technik,
Sprache, Musik, Bewegung, miese, fliessende Bilder, Poesie, Hektik,
Ahnung vom Sterben, Sex und Freundlichkeit". Der Videoclip
"Pickelporno" von 1992 machte sie berühmt. Zahlreiche
Bilder aus der Natur wie Eisberge, Wellen, Blumen, Wolken und
Feuer unterstützen die körperliche Annäherung eines
Paares. Erotik, Sinnlichkeit, Sexualität und der weibliche
Körper werden auch in nachfolgenden Videos thematisiert.
In dem kleinen, in einen Holzboden eingelassenen Monitor schaut
sie mit nacktem Oberkörper, der von einem Flammenmeer umgeben
ist, zum Betrachter hinauf und schreit um Hilfe. "Selbstlos
im Lavabad" heisst diese Arbeit von 1994. Im gleichen Jahr
entstand die Installation "Das Zimmer". Eine überdimensionierte
rote Couch und Sessel sowie eine riesengrosse Fernbedienung und
ein kleiner Fernseher verweisen humorvoll-kritisch auf die Bedeutung
des Massenmediums sowie dessen Konsum. Erwachsene werden zu Kindern
und erinnern sich an die Magie des Guckkastens und die erste Fernsehgeneration.
Ihre grossflächige Videoprojektion "Sip my Ocean"
von 1996 ist symmetrisch aufgebaut und in eine Raumecke installiert,
die die Mittelachse bildet. Der Boden im dunklen Raum ist mit
weichem, blauem Teppich ausgelegt. Die Videobilder - Unterwasser-aufnahmen,
eine schwimmende Frau, farbenprächtige Wasserpflanzen und
ins Meer fallende Alltagsgegenstände wie Küchenutensilien
und ein Minifernseher – fliessen seicht, treffen sich in
der sogartigen Mittelachse und verschwinden gemeinsam aus dem
Raum. Sie sind unterlegt mit leichter Musik und weichem Frauengesang
und wecken zahlreiche Assoziationen und Träume.
Pipilotti Rist, die in der Verbindung von Kunst und Pop, Alltag
und Fernsehen die Gemüter be-wegt, alle Sinne anspricht und
positive Emotionen weckt, untergräbt mit Kitsch und Humor
auch Tabus und Klischees. Die Videoinstallation "Ever is
Over All" von 1997 zeigt eine Frau, die mit einem grossstiligen,
phallusartigen Blumenstengel lustvoll die Scheiben parkender Autos
einschlägt und dabei wohlwollend von einer Polizistin beobachtet
wird. Der Ausspruch "Blumen statt Gewehre" der Flower-Power-Generation
wird hier in eine heitere Bilderstory als Realsatire umgesetzt,
deren anarchistischer Hintergrund als Wunschtraum erscheint. "Nothing",
eine Maschine, die in bestimmten Zeitabständen dicke milchig-weisse
und rauchgefüllte Seifenblasen wie Kanonenkugeln produziert
und auswirft, zeigte sie 1999 auf der Biennale Venedig. Im gleichen
Jahr erhielt sie den Wolfgang-Hahn-Preis in Köln und installierte
im Museum Ludwig zwei raumgreifende, spitz zulaufende, dreieckige
und fleischfarbene Wandskulpturen, in deren runde Öffnung
der Besucher seinen Kopf stecken und im Inneren verschiedene Videobänder
von Rist betrachten konnte. "Eine Spitze in den Westen, ein
Blick in den Osten" erinnert formal an den Sehstrahl und
den Projektionskegel eines Videobeamers. Sie isoliert den Betrachter,
"entzweit" Kopf und Körper und konzentriert den
Blick auf die Videos – ein Schachzug, der Sehen und Erleben
in Einklang bringt.
Ulrike Lehmann
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