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Norbert Schwontkowski, Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst, Nr. 81, Zeitverlag und Welt-kunst-Verlag, München


Norbert Schwontkowski


Malen ist Auftauchen an einem anderen Ort


Von Ulrike Lehmann


Betrachtet man längere Zeit einen Fluss, erlebt man ein seltsames Phänomen: man glaubt, selbst zu fließen und der Fluss steht still. Sieht man lange genug auf ein Bild, passiert das Gleiche: man sieht sich selbst als Bild und das Bild erinnert einen an sich.
Norbert Schwontkowski

Das Besondere und die Sprache


Nur selten sind Kunsthistoriker und Autoren sich so einig wie über den Künstler Nor-bert Schwontkowski. Sie alle bescheinigen ihm etwas Besonderes in seiner Malerei, eine magische Anziehungskraft, ein Entrücktsein des Betrachters und ein Entzücken angesichts der traumhaften Welt in seinen Bildern, das zur Sprachlosigkeit führt. Sei-ne Bilder „faszinieren vor allem durch das, was unerzählt bleibt“, schreibt Katrin Witt-neven. Schwontkowski male „ganz merkwürdige Bilder“, so Peter Friese . Rainer Beßling spricht „von der unvergleichlichen Aura der Bilder“ und Eva Schmidt nennt sie die „geheimnisvoll mystische Aura“ . In einem anderen Text sagt sie: „Man be-trachtet die Bilder von Norbert Schwontkowski und verliert sich in ihnen, als wären sie rund, Weltenbilder, die ihr Rundsein, ihren Gefäßcharakter von Außen in das Bild hineinprojizieren. (….) Man hat schon den eigenen Standpunkt verloren und treibt in die Bilderzählung hinein. Hineingezogen in eine Traumwelt, den eigenen Körper und den Raum, in dem man sich befindet, vergessend. Man lässt sich verführen wie im Traum oder im Kino.“ Im Vorwort zum Katalog der ersten retrospektiv angelegten Ausstellung in der Kunsthalle Bremen (u.a. Orte) heißt es: „Die Bilder von Norbert Schwontkowski ziehen auf eigentümliche Weise den Betrachter an.“ Wenig später ist von der „traumartigen Existenz“ und der „Faszination der Bilder, die jeder Betrachter vor den Originalen erfahren kann“ die Rede. Der Literaturwissenschaftler Peter Bür-ger lässt Fritz in einem Dialog mit Georg sagen: „Die Arbeiten von Norbert Schwont-kowski machen mich glücklich. Manchmal scheint mir, ich könnte süchtig danach werden.“ Und Georg sagt wenig später, „viele von Schwontkowskis Arbeiten sind spröde, aber einige sind betörend schön gemalt“. Durch den geschickten Schach-zug, als seriöser Literaturwissenschaftler nicht selbst das zu sagen, was er unum-wunden empfindet, erfindet er die Protagonisten Fritz und Georg, die vermutlich allen Lesern aus dem Herzen sprechen.


Über diese anfängliche und während der Betrachtung noch anhaltende Begeisterung und Bezauberung hinaus, versucht der Rezipient, sich von dem Zauber zu lösen und vielleicht auch mit Hilfe der Bildtitel Worte zu finden über das, was er sieht, dadurch innerlich spürt und erlebt, ja, erinnert. In vielen seiner Werke erkennt der Betrachter sich wieder oder erinnert sich an eine ähnliche Situation, mal dunkel und vage, mal ganz genau. Und doch ist das, was Schwontkowski darstellt, nie identisch mit dem, was der Betrachter erlebt hat. Diese Differenz zwischen den gemalten Bildern und denen der eigenen Erinnerung ist wichtig, um Distanz zu wahren und reflektieren zu können. Es ist wie eine „Distanz zwischen mir und meinen Verlusten“ , in dem Fall ist es ein Verlust über die erlebte Zeit, die vergangen und nur in Bildern der Erinnerung manifest geblieben ist.


Während die Reflexion über das Gesehene einsetzt, wird dem Rezipienten bewusst, wie wenig seine Worte das erklären können, was er sieht und was in ihm vor sich geht. Nicht selten vermischen sich die inneren Bilder und die gesehenen Bilder zu einer neuen Erkenntnis über sich selbst. Dabei werden die Darstellungen gern mit den Titeln der Bilder verbunden, um ein sprachliches Erklärungsmodul zu erhalten, doch eröffnen die Titel nicht selten einen zweiten, inneren Bilderkosmos (vgl. dazu Die braune Nacht, 2006, hier sind drei weiße runde Lampen dargestellt mit je einem kleinen schwarzen Quadrat, das an Hitlerbärte erinnert oder Zwei ältere Herren, 2006, in dem zwei Uhren dargestellt sind).
Die Schwierigkeit, Schwontkowskis Bilder in Worte zu fassen, das Gesehene sprach-lich zu erfassen, thematisierte auch Friedrich Meschede gleich zu Beginn seines Auf-satzes Das 11. Gebot: Du sollst sehen: “Die Aufgabe, einen Text über die Bilder von Norbert Schwontkowski zu verfassen, gerät zur Meditation, weil sich die Werke der unmittelbaren Sprache entziehen. Langes Nachsinnen bestätigt diese Verzweiflung, die richtigen Worte zu finden.“ Und Rainer Beßling meint: „Sollten Begriffe für die Bilder fast greifen können, wird die Gefahr der Zerstörung spürbar. … Man sucht nach den einfachen …wahrhaftigen Formulierungen … und spürt notwendigerweise die Grenzen von Wort und Text. … Die Bilder nehmen den Betrachter mit auf ihre eigenen Expeditionen, und höchstens diese lassen sich vielleicht versprachlichen.“


Doch was malt Schwontkowski? Was ist das Besondere? Was stellt er dar und wie malt er es?


Auftauchen an einem anderen Ort


Der 1949 in Bremen-Blumenthal geborene und dort, am Ufer der Weser aufgewach-sene Maler Norbert Schwontkowski ist Nomade, ein ewig Reisender, der dabei sei-nem Wohnsitz Bremen mit kurzen Ausnahmen Wien und Berlin bis heute immer treu blieb. Schwontkowski braucht das Reisen, das Fahren und sich Bewegen, und er thematisiert es auch in vielen Bildern und Texten. Besonders das Zugfahren animiert ihn, Bilder zu finden, die er in seinem Skizzenbuch festhält und später auf die Lein-wand überträgt – oder es bei der Skizze belässt. Der von ihm selbst zitierte Satz von Franz Marc „Malen ist Auftauchen an einem anderen Ort“ könnte auch sein Credo sein für seine künstlerische Arbeit. Denn es beinhaltet bereits einen Bewegungsvor-gang, eben das Auftauchen von einem zum anderen Ort. Schwontkowski ist ein Bil-dererfinder, dessen phantasievolle visuelle Formulierungen nicht selten „Samplings“ sind aus Gesehenem, Erlebtem, Erinnertem und Geträumten. Der Maler mischt seine Bildgedanken zu einer Konfiguration auf der Leinwand, hier findet das Konglomerat seinen Ort, der zweifelsohne ein anderer ist als die Wirklichkeit. Das Geschehen auf der Leinwand ist ein Substrat aus jenem Sampling, eine Art Essenz, ein Kürzel oder eine Formel, wie Die Verbeugung, 1993, zeigt.


Figur und Grund


Die dargestellten Figuren sind schnell gemalt, nass in nass auf einem mit vielen Farbschichten pastos aufgetragenen Grund, der schon eine eigene Qualität und Aussagefähigkeit hat und den Figuren bzw. der dargestellten Szene eine eigene, be-stimmte Stimmung und Atmosphäre verleiht. Die Figur und der Bildgrund gehen eine harmonische und in sich stimmige Verbindung ein, die überzeugt. Schwontkowski verwendet für den Bildgrund eine von ihm hergestellte Mischung aus Pigmenten, Leinöl, Knochenleim, Wasser und Binderfarben sowie Metalloxyde, die beim Trock-nen durch den chemischen Prozess eine bisweilen unvorhersehbare andere Färbung annehmen können. Der dicke Farbauftrag, der durch das Darüberfahren mit dem Ra-kel andere darunterliegende Farbschichten wieder hervorbringt, lässt zugleich dicke, überquillende, fast haptische Farbränder an den Bildkanten entstehen. In ihrem na-hezu monochromen und dennoch schlierigen Finish, das die Farbschichten bisweilen wolkenartig durchscheinen lässt und das Oxidieren zulässt, erinnern so manche Bildgründe an die Sphären eines William Turner (vgl. das Bild Am Meer, 1996), Fer-dinand Hodler (vgl. Hund, 1978) oder an die nahezu abstrakte Seerosenumgebung von Claude Monet.
Die Figuren, die Szenerien, wurden noch bis Ende der 1990er Jahre überwiegend mittig ins Bild gesetzt – ohne Andeutung von Raum und ohne Andeutung einer Hori-zontlinie. Sie schwebten in einem undefinierbaren Raum (vgl. Die Verbeugung, 1993, Wir in dieser Drecksbrühe, 1997 oder a short moment in time, 1992). Doch waren sie nicht haltlos, denn die Bildmitte und der Bildgrund gab ihnen Halt. Schwontkowski sagt: „Die Figuren haben das Leinwandkreuz im Herzen“ .
Die Bildfläche beinhaltet nur Figur und Grund, also kein Mittelgrund, der in der klassi-schen Malerei eine räumliche Illusion in der Fläche organisiert zwischen Vorder- und Hintergrund.
Während der malerische Bildgrund durch die transluzide Vielschichtigkeit der ver-schiedenen Farben eine Räumlichkeit und auch gewisse Lebendigkeit suggeriert, sind die Figuren, Tiere, Häuser oder Dinge eher flächenhaft, wie Schatten oder zei-chenhaft, skizzenhaft konturiert dargestellt. Anders als der malerische Grund schei-nen sie eher der Zeichnung zuzuordnen zu sein. Diese Skizzenhaftigkeit und Schat-tenhaftigkeit verleiht den Figuren etwas Flüchtiges, Momenthaftes. Es ist, als ob die Protagonisten den Bildraum im nächsten Augenblick wieder verlassen wollen. Sie sind wie Schatten ihrer selbst, die durch das Schattenhafte ein flüchtiges Zeichen setzen wollen, eine Setzung oder Bildkürzel, eine Behauptung oder These. Es sind anonyme Figuren und nur selten tauchen sie personifiziert auf wie bei den Selbst-porträts und Porträts wie beispielsweise Selbstporträt mit rotem Handtuch, 2005, Der junge Malevitsch, 2006, Ich habe den Kubismus erfunden, 2005 (Abb. *), Dürer, van Gogh, die ein wiedererkennbares Gesicht haben. Die Anonymität der Figuren gibt dem Betrachter die Möglichkeit, sich mit ihnen zu identifizieren, weil man dorthin eher sein eigenes Ich hineinprojizieren kann als in ein bereits personifiziertes Gesicht.
Seit Ende der Neunziger Jahre ist eine zunehmend differenziertere und detailreiche-re Ausgestaltung der Bildszenerie zu beobachten, die nicht selten auch eine Bild-räumlichkeit aufweist. Ab etwa 2000 wird die Szenerie großzügiger über die gesamte Bildfläche aufgebaut, in der die Figuren und Häuser auch mehr ausgearbeitet sind im Sinne einer Körperlichkeit und Tiefenräumlichkeit (vgl. die hier abgebildeten Werke ab Dämmerung, 2002). Schwontkowski begann seitdem, die Bildfläche im klassi-schen Sinne der Malerei wieder zu komponieren und das Bildgeschehen in Vorder- Mittel- und Hintergrund einzubinden. Doch auch da, wo einzelne Bildelemente mehr-fach vorkommen und keine derartige Bildraumaufteilung vorhanden ist, hat Schwont-kowski diese über die gesamte Bildfläche verteilt und zugleich nach oben respektive hinten perspektivisch verjüngt (vgl. Dicht am Boden, 1999 und Auf Reede III, 2003). Perspektive und Tiefenräumlichkeit ist besonders auch in den Werken Belgische Au-tobahn, 2000, Im Waschsalon, 2003 und Vegesack, 2006 zu erkennen.
Mit dieser Neuorganisation der Darstellung über die gesamte Bildfläche tritt der mehrschichtige monochrome Bildgrund zunehmend in ebensolchen Hintergrund. Dennoch verschwindet er nicht ganz, wie in den Bildern Das rote Feld, 2003, Letzter Blick, 2002 oder Pause II, 2004 zu sehen ist.
Diese für Schwontkowski so typische Entwicklung des Malgrundes in Kombination mit der skizzenhaften Zeichnung der Figur macht seine ganze Malerei aus. Hier ent-faltet er seine Leidenschaften stets aufs Neue. Die Leinwand ist der Ort der Malerei und die Geschichte, die die Figuren erzählen, sind für Schwontkowski nur der Anlass für die Malerei: „In Wirklichkeit geht es nur um eine freie, offene Malerei. Die Motive sind nur der Anlass, um dorthin zu kommen.“


Vom Unterwegssein
.
Die auf den meisten Bildern bis ca. 1999 sichtbare Isolation der Figuren auf dem ma-lerischen Grund und die von ihm ausgehende unspezifische Ortlosigkeit, in der die Figuren sich befinden und in der die Szenerie handelt, entspricht dem ständigen Un-terwegssein des Künstlers. Auch die Figuren sind immer irgendwo unterwegs. Die Szene hat keinen Raum um sich herum; Wände, Decke und Boden sind nicht vor-handen. Die Figuren sind frei, sie schweben frei in einer Ortlosigkeit. Allein die Bild-fläche - und hier besonders die Bildmitte - ist ihr Platz. Hier sind die Figuren veran-kert, hier haben sie ihren Ort. In der Flüchtigkeit ihres schattenhaften Daseins kön-nen sie sich in jedem nächsten Moment woanders befinden. Auch das erlaubt die Offenheit des Ortes. Selbst wenn das Meer ein Ort für den Protagonisten ist, beinhal-tet es doch die grenzenlose Weite (vgl. Alte Frau am Meer, 2005 oder Abend am Meer, 2007). Ähnliches gilt gleichermaßen für Schienen (Vegesack, 2006)und Auto-bahnen (Belgische Autobahn, 2000; vgl. dazu auch Der Weg nach Hause, 2006), die unendlich in die Tiefe gehen, bis sie im Horizont verschwinden. Sogar der Waschsa-lon hat keine Raumgrenzen: die schneeweißen Waschmaschinen sind perspektivisch aufgereiht wie eine unendliche Perlenkette oder eine Wäscheleine, die man auch außerhalb des Bildes noch fortführen könnte (Im Waschsalon, 2003, Abb. *).
Der Bremer Maler und Hamburger Professor für Malerei liebt das Reisen. Schon während seines Studiums - das er nicht weit weg, sondern in Bremen absolvierte - flog er nach Indien und entdeckte dort vieles, was ihn bis heute nachhaltig geprägt hat, wie die asiatische Ruhe des Zen, die sich in der Ruhe des Bildgeschehens oder dem Freilassen, der großzügig stehengelassenen Leere des Bildraumes widerspie-gelt. Dabei muss er sich nicht unbedingt wegbewegen. Viele Reisen vollzieht er auch durch Träume und Tagträume im Kopf. Aber seine Vorliebe für das Zugfahren, wie auch das Meer und Wasser, manifestiert sich in zahlreichen verwandten Motiven wie Bahnhöfe, Gleise (Vegesack, 2006), Züge, die durch Tunnel fahren (Das ganze Le-ben, 1996), Hotels oder Cafés. Selbst das Künstlerhaus, das er 1997 malte, ist no-madisch, denn es befindet sich auf einem Schiff. Es ist ein Haus, das er überall mit hinnehmen kann wie ein Hausboot (vgl. dazu auch Auf See zu Haus, 2006 oder Seeheim, 2006)


Melancholie und Katastrophen


Im entfernten, vielleicht poetischen Sinne passen zu dieser Grundstimmung des Rei-sens und der Melancholie auch die Katastrophen des Alltags, die er hin und wieder malt. Es sind plötzlich auftauchende Vorkommnisse, die auch gleich wieder ver-schwinden können wie ein Blitzgewitter bei einem Sturm (Strom, 2007) oder aber doch bleibende Spuren hinterlassen, wie ein gestrandetes Flugzeug nach seinem Absturz (z.B. United, 2004) oder die dreckigen Ölfelder in Baku, die dauerhaft die ganze Erde verseuchen. Während die Serie der Bakubilder (siehe Baku, 2006) auf-grund einer fotografischen Vorlage entstanden und im Vergleich zu anderen Bildern fast realistisch gemalt sind, nimmt es Norbert Schwontkowski lieber auf mit den klei-nen Katastrophen des Alltags, die er selbst erlebt, woanders gesehen, gehört oder davon in einer der beiden Zeitungen gelesen hat, die er jeden Morgen in einem Cafe studiert: „Da ist der Fahrradreifen platt, man vergisst sein Portemonnaie oder man steigt statt in ein großes Schiff nur in die Badewanne ein.“
Stets sitzt den Bildern, die er entwickelt, ein „Schalk im Nacken“, ein Humor, der sich aus der dargestellten grotesken und scheinbar unlösbaren Situation ergibt. Er male nicht die düstersten Katastrophen wie Krieg, sondern vielmehr „das Grundgefühl, immer nur einen Schritt entfernt vom Abgrund zu stehen“, sagte er in einem Inter-view. Es ist ein kurz Davor oder kurz Danach, was Schwontkowski mit einem Lä-cheln im Bild festhält. So sitzt eine Nonne im Feuchten oder eine weiße jungfräuliche Braut im Schlamm. Bei aller Katastrophe sitzen sie „ganz entspannt im Hier und Jetzt“. Ein Mann, der sich mit großen Schritten vom Haus entfernt, bleibt mit seinen Hosenträgern an der Türklinke der Haustür hängen und wird am Weitergehen gehin-dert (Das große Heimweh, 1994). Das alles sind dann doch Katastrophen, über die der Betrachter aber lachen muss.
Dass dabei in den meisten seiner Bilder ein erdiger, dunkler Grundton vorherrscht und er weniger die knallbunten Farben bevorzugt, mag mit dem Sujet der Katastro-phen zusammenhängen. Seine Bilder beinhalten eine „November- bis Februar-Farbigkeit aus der Zeit der gefesselten Farben und des eingekerkerten Lichtes.“ Diese melancholischen, erdigen Farben hat er auch besonders bei den flämischen und flandrischen Malern des 15.-17. Jahrhunderts bewundert und schätzen gelernt – im Gegensatz zu den knalligen hellen Blau- und Grüntönen der Italiener aus der Zeit.
Zu diesem romantischen Grundgefühl der nebligen Melancholie (vgl. dazu auch Dämmerung, 2002, Abb. *), die Norbert Schwontkowski nicht nur malt, sondern auch immer wieder als Grundbegleiter seines Lebens empfindet, passt auch das vielleicht buddhistische Bild, sich als Wanderer zwischen Leben und Tod zu sehen. Das Grundgefühl, kurz vor dem Abgrund zu stehen, dabei aber noch feste zu feiern und vielleicht doch dem Sensemann wieder für eine Zeit von der Klinge gesprungen zu sein, steckt sehr tief in ihm. Stets rückversichert er sich des Todes als ein möglicher Seinszustand (siehe dazu Die Verbeugung, 1993). Der Tod lebt mit ihm, er lebt mit dem Gedanken an den Tod.
Möglicherweise spricht aus ihm seine tiefe katholische Seele. Er hat ein katholisches Internat besucht und wollte zunächst Priester oder Gärtner am Dom werden. In vielen seiner Bilder finden sich bis heute religiöse und kirchliche Themen wieder, wie in Türme, 2000 mit Kathedralenspitzen, Im Gebirge des Glaubens, 2005, Gottsucher-lampe, 2000 (eine mögliche Verballhornung von Bazon Brocks Wortschöpfung der Gottsucherbande), Rue des deux Eglises, 1999, Schönheit des Glaubens II, 1997, Kino, 2001 (einer Kathedrale, auf der das Wort Kino steht), Kirche der Zukunft, 2006, Seekirche, 2005, der Mönch Im Waschsalon, 2003 (Abb. *) oder der Mönch am Meer in Am Meer, 1996 als Antwort auf das Bild von C.D. Friedrich (vgl. dazu auch Alte Frau am Meer, 2005, Abb. *). Auch mit diesen Bildern (und ihrem malerischen Hin-tergrund) hat er eine Form gefunden, transzendierend hinauszuweisen in einen spiri-tuellen oder gar himmlischen Raum wie einst Mark Rothko mit seinen abstrakten, wolkenartigen, atmenden Farbfeldern.
Schwontkowski plant seine Bilder nicht, er sagte sogar einmal „Die Bilder malen sich selbst“ - im Sinne der ecriture automatique. Er macht auch fast nie Serien, sondern Einzelbilder. Manche von ihnen können jedoch verwandt sein oder kreisen um ein Motiv. Die meisten Bilder kommen dem Maler aus dem Bauch und Kopf heraus, im Halbschlaf und Zustand des unkontrollierten Wahrnehmens – anders als der di-asgnostische Blick eines Luc Tuymans, mit dem er bisweilen verglichen wird. Er handelt nach seiner Intuition, nach seinen Einfällen – auch wenn er dazu immer wie-der auch Bildideen aus seinen inzwischen über 500 Skizzenbüchern entnimmt. Er kann auch gar nicht anders, denn er agiert aus einer „inneren Notwendigkeit“ heraus (ein Begriff von Wasslily Kandinsky). Schwontkowskis Malerei und seine Person, sein Erleben, sein Tagesablauf, seine Stimmungen, Gefühle, Erlebnisse und Begegnun-gen sind untrennbar miteinander verbunden. Daher kann er nicht rational vorgehen und die Bilder planen oder gar ganze Werkgruppen systematisch und logisch aufein-ander aufbauen, wie es bei Picasso zu sehen war. Insofern ist Schwontkowski sich selbst und seinem Stil im Verlauf seines Oeuvres immer treu geblieben, und eine Werkentwicklung mit veränderten Phasen ist kaum auszumachen, weil der Fokus auf dem Einzelbild liegt.
Dies gilt auch für Werke, die er in verschiedenen Drucktechniken wie Holzschnitte, Lithografien, Künstlerbücher herstellt. Die meisten Exemplare einer Edition sind noch einzeln nachträglich bearbeitet und insofern wieder Unikate.
Die Bilder entstehen schnell und plötzlich. Der Zufall und auch die kleinen Katastro-phen beim Malprozess sind mit einkalkuliert. Es geht ihm nicht um Perfektion. Der Akt des Malens ist es, worauf es ihm ankommt. Er hält sich nicht lange mit oder an einem Bild auf. Sobald das Bild fertig ist, stellt er es weg. Hat er es für gut befunden, interessiert es ihn nicht mehr, denn schon stehen die nächsten Bilder an, die gemalt werden wollen. Wenn es gut läuft, ist er im Fluss - auch das ist nomadisches Denken.


Die Poetik des Seins und Scheins


Ganz verloren in Raum und Zeit erzählen Schwontkowskis ideenreiche Bilder Ge-schichten, die aus dem Fluss der Erzählung jedoch nur einen Ausschnitt, einen Mo-ment darstellen wie ein Regenbogen, der bald wieder verschwindet, aber auf der Netzhaut und in Gedanken nachhallt. Dennoch wirkt das Dargestellte nicht fragmen-tarisch, sondern in sich ruhend und schlüssig. Ob sich eine Kurzgeschichte, ein Ro-man oder ein Drama daraus entwickelt – das muss der Betrachter selbst entscheiden im Fluss seiner eigenen Wahrnehmungszeit.
Die Figuren sind häufig vereinzelt dargestellt, allein auf dem Bild mit sich selbst und dem Geschehen gelassen. In diese Einzelfigur kann der Betrachter sich viel mehr hineinversetzen und sich mit ihr identifizieren als mit einer Menge von Leuten unter herunterhängenden Glühbirnen, die eher eine Stimmung widerspiegeln und trotzdem isoliert voneinander sind (siehe Pfingsten, 2005, oder Am helllichten Tag, 2005).
Das Einzelschicksal berührt den singulären Betrachter und entfaltet in ihm einen Strom an Erinnerungen und Bildern von selbst Erlebtem. Auch kann die Darstellung Mitleid hervorrufen. In jedem Fall aber ist der Betrachter nicht unbeteiligt und passiv, sondern er nimmt Anteil am Bildgeschehen. Dass dies in nahezu allen Fällen bei den Rezipienten tatsächlich passiert, ist der kürzelhaften Prägnanz der Darstellung und der hohen malerischen Qualität der Bilder mit ihrer ausdrucksstarken Poesie zuzu-sprechen. Schwontkowskis Bildkürzel funktionieren wie archaische Formeln oder gar Archetypen, die uns alle gleichermaßen ansprechen, berühren, im Traum erscheinen und an unser kollektives Wissen appellieren. Es sind Geschichten, die jeder versteht und jeder weitererzählen kann. Schwontkowskis Bilder stoßen und regen an, da wei-terzumachen, wo sie aufhören – und jenen Augenblick festzuhalten wie in einem Fo-to der Erinnerung und weiterzuspinnen zum nächsten, nicht zu ruhen, sondern no-madisch zu wandern in unserem Reich der Erinnerung und Gegenwart.
Seine Bilder sind therapeutisch, darin liegt ihr Geheimnis. Sie sprechen innerste Ge-fühle an und bieten – ob ihres großzügigen malerischen, atmosphärischen Bildgrun-des und der Weite des horizontlosen Raumes - genügend Freiraum für eigene Wün-sche, Sehnsüchte und Projektionen.
Für den Künstler ist selbst ein noch nicht fassbarer Traum in Erfüllung gegangen. In Bremen und der norddeutschen Umgebung war er schon lange kein Unbekannter mehr. Viele schätzten ihn, die Galerie Beim Steinernen Kreuz in Bremen und die Produzentengalerie in Hamburg unterstützten ihn – bis heute. Als er im März 2004 noch mit Mitte 50 in das Galerieprogramm von Contemporary Fine Arts, CFA in Ber-lin aufgenommen wurde (und die heute seine Hauptgalerie ist), begann ein neuer Aufschwung durch einen schlaglichtartigen Bekanntheitsgrad bis hin nach Amerika. Das ist ein seltenes Phänomen im Kunstbetrieb, aber es spricht für seine Bilder und deren zunehmende Beliebtheit. Im Rahmen der 4.Berlin Biennale 2006 hat Schwont-kowski seine Zweitwohnung in der Augustastr. gegenüber den Kunstwerken dem Publikum geöffnet. Sehr viele Besucher haben seine Bilder in seinem Privatambiente gesehen und die Qualität seiner Malerei schätzen gelernt. Diese Ausstellung verhalf ihm zum Durchbruch einer internationalen Karriere.
Und dennoch hinterfragt Schwontkowski sich, sein Tun und seine Malerei stets selbstzweifelnd an: „Was ist ein gutes Bild?“ und erklärt: „Es ist fast ein alchemisti-scher Prozess, der eine (Bild-)Geschichte aufleben lässt mittels Farbmaterie. Ich lege viel Wert auf den Grund, der z.B. eine Atmosphäre wie ein Wetter darstellen kann und der schon viel vorgibt, obwohl es nur Farbmaterie ist. Einige Bildgründe sind deshalb so dick, weil sie mein eigenes Scheitern demonstrieren. Das Scheitern ist für mich ein Grund, noch mehr zu verdichten. Ich arbeite so lange an einem Bild, bis es mich in Ruhe lässt. Ich brauche für den Prozess nicht lange, das Wichtigste er-schließt sich in 2-3 Sekunden.“ Es ist demnach wie der kurze erste Eindruck bei einer Begegnung mit einer fremden Person, der sich überträgt auf die Sparsamkeit der Darstellung sowohl im Prozess der Herstellung als auch der anschließenden Be-trachtung: „Die Blitzartige Verbindung der Substrate lassen gemeinsam ein Bild ent-stehen. Ich gehe noch mal hinein in das Geschehen und prüfe, ob das ein gutes Bild ist, dann wird es ganz schnell auf die Leinwand übertragen. Alles Überflüssige wird weggelassen und das Wesentliche verdichtet - im doppelten Sinne von Dichtung und Verdichtung: Wenn alles stimmt, ist das Bild verdichtet, also fertig.“
Es ist die polare Situation zwischen Gelingen und Scheitern, Leben und Tod, „purem Glück und reinem Elend“ (Titel einer Ausst. in Vancouver), „Kot und Gold“ (K.H. Greune) - es ist das Drama der eigenen Existenz und das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit, was ihn bewegt und antreibt, diese Bilder zu malen.

 

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